Reaktionen aus dem Kreis Viersen „Schwere Hypothek für die FDP“
Kreis Viersen. · CDU- und FDP-Politiker aus dem Kreis Viersen sind entsetzt über den „Tabubruch“ von Thüringen. Nach der Ministerpräsidentenwahl mit AfD-Stimmen fordern fast alle Neuwahlen, zu denen es nun wohl kommen wird.
Die Erschütterungen des Wahlbebens in Thüringen dringen bis an den Niederrhein. Schock und Enttäuschung sind vielerorts groß über das, was sich am Mittwoch in Thüringen zugetragen hat. Dort ist der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit den Stimmen von FDP, CDU und rechtspopulistischer AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Viele Liberale am Niederrhein sind fassungslos. Und viele Kommunalpolitiker aus dem Kreis Viersen forderten den Rückzug Kemmerichs. Eine Lösung, zu der es dann am Donnerstagnachmittag tatsächlich kam.
Die stellvertretende FDP-Vorsitzende in Tönisvorst Birgit Koenen zeigte sich geschockt von der Wahl. Da sie selbst gebürtig aus den neuen Bundesländern stamme, packe sie dies besonders an der Seele. Auf Facebook machte sie ihre persönliche Meinung deutlich, dass es nachvollziehbar sei, als Kandidat der Mitte antreten zu wollen. „Aber mit den Stimmen von Björn Höcke und Co. gewählt zu werden, ist unerträglich. Für mich kann es keine Zusammenarbeit jedweder Art mit der AfD geben und fordere Thomas Kemmerich auf, mit einem Rücktritt den Weg zu Neuwahlen in Thüringen frei zu machen.“
Marcus Thienenkamp, Vorsitzender der FDP Tönisvorst, ist der Meinung, dass die Kandidatur von Thomas Kemmerich als einem Repräsentant der politischen Mitte richtig war. „Eigentlich hätte die CDU kandidieren müssen.“ Zur Annahme der Wahl durch Kemmerich aber sagt der Tönisvorster: „Ich hätte mir gewünscht, dass er nachgerechnet und abgelehnt hätte.“ Er, Thienenkamp, unterstützt die Haltung der Landes-FDP. Die AfD, meint er in der differenzierteren Betrachtung, könne man nur über die politische Sacharbeit stellen. Die komplette Ausgrenzung der letzten Jahre habe sie von Wahl zu Wahl stärker gemacht. Thienenkamp geht von Neuwahlen in vier, fünf Wochen aus. „Aber die werden uns im Ergebnis nicht weiterbringen.“ Austrittsankündigungen in der eigenen Partei in Tönisvorst habe es bisher nicht gegeben.
„Das ist für die Liberalen ein Tabubruch“, sagt Christoph Maethner, Vorsitzender der FDP in Willich und meint damit, dass „sich ein Liberaler mit Stimmen der AfD wählen lässt und diese Wahl auch annimmt. Das geht nicht!“ Richtig aber fand er es, dass Kemmerich zuvor ein politisches Angebot aus der politischen Mitte heraus gemacht hat.
Kritik übt Maethner an Rot-Rot-Grün: „Sie haben das mit dem dritten Wahlgang auf die Spitze getrieben und bewusst provoziert.“ Er geht davon aus, dass es nun zu Neuwahlen kommen werde. „Ich habe aber die Sorge, dass FDP und Grüne aus dem Landtag in Thüringen fliegen, dass CDU und SPD verlieren und die AfD zunimmt.“ Auswirkungen dieser Geschehnisse seien auch für die Liberalen in Willich zu befürchten: „Das wird im Kommunalwahlkampf eine sehr schwere Hypothek für uns werden.“
Sven Superat, ehemaliger FDP-Ratsherr in Kempen, hat noch am Mittwoch seine Mitgliedschaft in der Partei gekündigt. Diesen „Dammbruch“ könne er einfach nicht mittragen. Dass es nun einen FDP-Ministerpräsidenten von „Höckes Gnaden“ geben soll, ist für ihn untragbar. Kemmerich hätte die Wahl nicht annehmen sollen oder gleich Neuwahlen anstreben sollen, findet Superat. Auch von der Bundesspitze, dem Vorsitzenden Christian Lindner und Vize Wolfgang Kubicki, hätte er sich eine konsequente Abgrenzung von der AfD gewünscht.
Die Kempener FDP-Fraktionsvorsitzende Irene Wistuba glaubte erst an einen Scherz, als sie von der Wahl Kemmerichs erfuhr. Dass er mit den Stimmen der AfD gewählt wurde, sei ein Schock gewesen. Doch ihrer Meinung nach hat sich der Thüringer FDP-Mann richtig verhalten. Schließlich habe er mit den Stimmen der AfD, die ja einen eigenen Kandidaten hatte, nicht rechnen können. Sie hält es auch für richtig, dass Kemmerich nun mit SPD und Grünen sprechen möchte. „Nach dem Ende der Jamaika-Verhandlungen hat man uns vorgeworfen, dass wir hätten weitermachen sollen“, erinnert Wistuba. Sie geht davon aus, dass es zu Neuwahlen kommen wird. Für Wistuba ist klar: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD darf es nicht geben.“ Auch an den Reaktionen von Lindner und Kubicki hat Wistuba nichts auszusetzen. Kubicki hatte das Ergebnis als großen Erfolg gewertet. Die Kempenerin glaubt nicht, dass die Wahl nun große Auswirkungen auf den Wahlkampf der FDP vor Ort haben wird.
„AfD-Taktiker bringen CDU und FDP in Not“. Stimmt Uwe Schummer, CDU-Bundestagsabgeordneter des Kreises Viersen, dieser WZ-Schlagzeile von Donnerstag zu? „Sie bringen uns in Rage“, sagt der Neersener. „Ich bin entsetzt. Wie kann man sich parlamentarisch von einer völkisch-braunen Gesinnung wählen und tragen lassen“, kritisiert er in Richtung FDP und deren Ministerpräsident Thomas Kemmerich. Deutliche Worte findet er auch gegenüber den eigenen Parteimitgliedern in Thüringen. An die Union gerichtet fordert er „Politik mit Haltung und das konsequent“.
Der Vorstand der Christlich Demokratischen Arbeitnehmervereinigung (CDA) habe am Donnerstagmorgen eine Erklärung formuliert und sich zu den Geschehnissen in Thüringen positioniert. Hinter dieser steht auch Uwe Schummer: „Die CDA Deutschlands schämt sich zutiefst für das, was gestern in Thüringen geschehen ist.“ Die CDU Thüringen habe den historischen Fehler der Zentrumspartei wiederholt. „Eine CDU, die bei dieser Frage wackelt, ist für uns Christlich-Soziale nicht unsere Partei. Die Gründerväter der CDA haben im NS-Reich Widerstand gegen das Naziregime geleistet. Das ist das historische Erbe von uns Christlich-Sozialen und wir alle fühlen uns seiner Bewahrung verpflichtet.“ Wer sich mit Stimmen der Rechtsextremen in ein Amt wählen oder tolerieren lasse, habe „in unserer CDU nichts zu suchen und muss ausgeschlossen werden“, heißt es weiter in dem Statement. Uwe Schummer forderte am Donnerstagvormaittag gegnenüber der WZ sofortige Neuwahlen.
Die Situation in Thüringen sorgt für Unruhe – auch in der nordrhein-westfälischen FDP. Das spürt auch der FDP-Landtagsabgeordnete Dietmar Brockes. Für ihn ist es richtig, dass Thomas Kemmerich angetreten ist. „Es kann nicht richtig sein, wenn bei einer Wahl nur Extreme von ganz rechts und ganz links antreten.“ Aber für Brockes steht auch fest: „Ich hätte auf keinen Fall die Wahl angenommen.“ Für ihn ist es wichtig, dass nun schnell der Weg für Neuwahlen freigemacht wird – je schneller, desto besser. Man hätte sich gewünscht, dass es nicht dazu gekommen wäre. Aber für den NRW-Landesverband und für die Kommunen in NRW stehe fest, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde, betont Dietmar Brockes. Die Situation habe auch gezeigt, dass die FDP eine wichtige Rolle spielen müsse, damit auch in den Kommunen „aus der Mitte heraus“ regiert werden könne, dafür stehe die FDP am Niederrhein.
Der Kempener Wolfgang Lochner verschickte in seiner Eigenschaft als Kreisvorsitzender der FDP am Donnerstagmittag eine deutliche Stellungnahme: „Die Wahl des FDP-Landtagsabgeordneten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen ist sowohl für die Demokratie als auch für unsere FDP ein Desaster.
Die Thüringer FDP sei im 90-köpfigen Landtag die kleinste Fraktion, die Linke mit ihrem bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow sei mit 31 Prozent als größte Fraktion mit 29 Sitzen in den Landtag gewählt worden - „und nach Umfragen wünschten sich zirka drei Viertel aller Thüringer Bürgerinnen und Bürger über die Parteigrenzen hinweg, dass Bodo Ramelow als Ministerpräsident im Amt bleibt“, so Lochner. „Dass sich dennoch jetzt Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen, ist somit ein Schlag gegen demokratische Grundregeln und gegen den erkennbaren Willen der Wählerinnen und Wähler.“
„Verschlimmert wird dies zudem durch die Tatsache, dass die Wahl nur mit Hilfe der trickreichen Machenschaften der AfD mit ihrem rechtsradikalen Führer Björn Höcke zustande gekommen ist“, so Lochner. „Diese miese Taktik der AfD war mithin so offensichtlich, dass dies auch für die Thüringer FDP und CDU erkennbar sein musste.“ Der von Kemmerich nun eingeschlagene Weg des Rückzugs war aus Sicht von Lochner der ein richtiger Schritt.