Kempen Verstößt Rasenmäher-Verordnung gegen die Verfassung?

Die Stadt Kempen verbietet zu gewissen Zeiten den Betrieb von „motorgetriebenen Gartengeräten“. Der Streit zwischen Nachbarn könnte dazu führen, dass die Verwaltung die Regel abändern muss.

Kempen. Wir alle kennen sie, jedenfalls glauben wir es: die Vorschrift, dass man in der Mittagszeit zwischen 13 und 15 Uhr nicht Rasen mähen oder die Hecke schneiden darf. Dass das ein nicht auszutreibender Irrglaube ist, wissen allenfalls Juristen oder Mitarbeiter eines Ordnungs- oder Rechtsamtes. Oder Menschen, die tatsächlich schon mal in Konflikt gekommen sind mit dieser (angeblichen) Regelung. Und bei dieser Gelegenheit staunend erfuhren, dass eine städtische Verordnung womöglich sogar gegen die Verfassung verstößt.

Ein solcher Mensch ist der Kempener Ralf Schar (Name geändert). Der Mann wohnt seit Ende 2014 an seiner jetzigen Adresse in der „Neuen Stadt“. Im April des vergangenen Jahres mähte er an einem Nachmittag den Rasen an seinem Haus. Dabei kam er mit einem Nachbarn ins Gespräch, der ihn darauf aufmerksam machte, dass er um diese Zeit damit störende Geräusche erzeuge. Man ging durchaus freundschaftlich auseinander.

Nicht mehr so freundlich war der Nachbar, als er sich im Juni durch eine Hauswasserwerk-Pumpe gestört fühlte. Und als an einem Juli-Tag gegen 14 Uhr erneut der Rasen gemäht wurde, war’s mit der Friedfertigkeit endgültig vorbei. Er rief zunächst die Polizei an. Die vermittelte ihn ans städtische Ordnungsamt. Dort konnte der Kempener seine Anzeige loswerden: Ralf Schar habe gegen Paragraf 6 der Ordnungsverordnung der Stadt Kempen verstoßen.

In diesem Paragrafen heißt es kurz und knackig: „Das Verwenden von motorgetriebenen Gartengeräten ist an Werktagen in der Zeit von 12 bis 15 Uhr und von 19 bis 8 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen verboten.“ Das sieht so aus, als gäbe es keinerlei Spielraum. Das sah auch das Kempener Ordnungsamt so und verhängte gegen Ralf Schar ein Verwarngeld in Höhe von 30 Euro.

Der Kempener sah das nicht ein, wohl auch, weil er schon mal gehört hatte, dass es die eingangs geschilderte Mittagsruhe überhaupt nicht gibt. Er schaltete einen Rechtsanwalt ein, Andreas Neuber aus Krefeld. Der sah sich die Ordnungsverfügung an und befand sofort: Sie ist verfassungswidrig. „Man kann doch kein Berufsverbot zum Beispiel für Gartenbaubetriebe aussprechen“, sagt Neuber. Und: „Was ist mit Straßenbauern oder Baustellen in Häusern, wo zum Beispiel Fliesen oder Pflaster geschnitten werden müssten?“, fragt Neuber.

Der Anwalt recherchierte, stellte fest, dass Kempen weit und breit die einzige Kommune ist, die einen derartigen Satz in einer Verordnung stehen hat. Nach längerer Suche wurde er in Budjadingen fündig, eine Gemeinde bei Cuxhafen. „Dort sind allerdings Gewerbebetriebe als Ausnahme in der Mittagsruhe zugelassen. Das ist rechtlich in Ordnung“, sagt der Jurist.

Neuber setzte sich mit der Kempener Verwaltung in Verbindung, teilte seine Bedenken mit. Das sei interessant, hätten die dortigen Beschäftigten reagiert. Dennoch lasse man es darauf ankommen: Solle doch ein Gericht die Rechtmäßigkeit des 30-Euro-Verwarngeldes prüfen.

Das geschah, der Richter stellte die Unrechtmäßigkeit des Verwarngeldes fest. Allerdings beschäftigte er sich nicht mit den verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Stadt ging vor Gericht baden, weil nicht festgestellt werden konnte, wer letztlich den Rasenmäher bedient hatte. Anwalts-, Gerichts- und Verwaltungskosten — gesamt knapp 1000 Euro — gingen zu Lasten der Staatskasse. Außer Spesen nichts gewesen, könnte man sagen.

Was sagt die Stadt Kempen dazu? Zieht sie aus der Auseinandersetzung Konsequenzen? Zunächst einmal verspricht sie „Prüfung“. „Die Vorschrift wird ja in voller Konsequenz nicht angewendet“, sagt Hans Ferber, Erster Beigeordneter und Ordnungsdezernent. „Wir benutzen diese Vorschrift, wenn sich ein Nachbar beschwert. Wenn es Probleme gibt, gibt’s auch ein Verwarngeld“, sagt er. Dass die Vorschrift möglicherweise verfassungswidrig ist, davon wisse man nichts. „Natürlich werden wir das prüfen“, verspricht er. „Wenn da was nicht stimmt, werden wir reagieren.“