Grefrath Zivilcourage gegen braunes Gedankengut
Beim Holocaust-Gedenken in Grefrath schlugen Konfirmanden und Redner den Bogen in die Gegenwart.
Grefrath. Seit 2004 erinnert vor der Kirche St. Laurentius ein Gedenkstein an die ermordeten jüdischen Mitbürger aus Grefrath und Oedt. Und seitdem findet dort alljährlich eine Gedenkveranstaltung statt. So auch gestern — zwei Tage nach dem bundesweiten Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Irmgard Tophoven, die mit anderen für das Mahnmal und später für das regelmäßige Gedenken gesorgt hatte, sagte gestern nach dem Gottesdienst: „An der Gedenkveranstaltung nahmen in der Vergangenheit immer zwischen 50 und 70 Menschen teil.“ Gestern waren es um die 80. Sie trotzten dem eisigen Wind und freute sich, dass es wenigstens nicht regnete.
Für Gänsehaut war aber nicht nur die Kälte verantwortlich: Irmgard Tophoven las einen Text des Autors Elie Wiesel, der den Holocaust überlebt hatte und im Juli vergangenen Jahres gestorben ist. Der Text machte betroffen, ging unter die Haut. Die 76-jährige Tophoven las vor, was Elie Wiesel als 15-Jähriger aufgeschrieben hatte: „In der Luft lag der Geruch von verbranntem Fleisch“, erinnert er sich an seine Ankunft im Konzentrationslager Auschwitz. Was er nicht ahnte: Der Befehl „Männer links — Frauen rechts“ sollte dazu führen, dass er seine Mutter und seine Schwester nie mehr sah: Sie wurden ermordet, er überlebte als Einziger.
Neben Tophoven gestalteten Pastor Johannes Quadflieg, Pfarrerin Barbara Münzenberg, Organist Johannes Herrig sowie Konfirmanden das rund 40-minütige ökumenische Programm. Fünf Konfirmanden reflektierten abwechselnd über das Thema „Mitschuld“ und schlugen einen Bogen in die Gegenwart. Ihre Überzeugung: „Es ist auch unsere Schuld, wenn heute Anschläge auf Asylbewerberheime und Synagogen verübt werden.“ Die jungen Leute riefen die Namen der Juden auf, die in Grefrath und Oedt lebten, die sich nichts hatten zu Schulden kommen lassen, die Teil der Gesellschaft waren und trotzdem deportiert und ermordet worden waren.
Pfarrerin Barbara Münzenberg forderte: „Die Erinnerung an den Holocaust muss eine offene Wunde bleiben.“ Sie beklagte, dass Menschen damals weggesehen haben, Bilder, die sie nicht sehen wollten, die sie belastet hätten, nicht zuließen. Ohne seinen Namen zu nennen, kritisierte sie den neuen US-Präsidenten Donald Trump, als sie sagte, Abschottung werde wieder salonfähig. Barbara Münzenbergs Botschaft: „Als Christen sind wir aufgerufen, mit allen Sinnen zu verfolgen, was um uns herum geschieht.“
Die Konfirmanden erinnerten an Widerständler, die oft bis in den Tod verfolgt wurden, an Behinderte und psychisch Kranke, denen das Recht zu leben abgesprochen wurde.
Bürgermeister Manfred Lommetz nannte die Geschehnisse im Dritten Reich „unfassbar barbarisch“. Auch die jüdischen Familien, die in Oedt und Grefrath gelebt hätten, seien „geächtet, gedemütigt und für den Abtransport ins KZ gemeldet worden: „Viele von ihnen haben im Umkreis von 500 Metern um diese Kirche gelebt“, erinnerte Lommetz. Was ihn für die Zukunft optimistisch stimmt: „Dass es hier so viele Jugendliche gibt, die sich intensiv mit der Judenverfolgung auseinandergesetzt haben.“
Lommetz rief den Schülern zu: „Bleibt sensibel für alle Entwicklungen, die die Demokratie und die Menschenrechte gefährden.“ Sie müssten braunem Gedankengut Zivilcourage entgegensetzen, damit sich das menschenverachtende Denken nicht in den Alltag einschleicht. Sein Appell: „Setzt auf Frieden, Freiheit und Humanität.“