An Weihnachten kommt ein Stück Sibirien zurück

Maria Jost hat in ihrer Kindheit Weihnachten in Russland erlebt — und erzählt heute noch gern davon.

Foto: Burghardt

Nettetal. Von draußen, aus der Eiseskälte kam er herein, der große, unheimliche Mann, mit Pelzen behängt: „Wir Kinder versteckten uns unterm Tisch“, erzählt Maria Jost. Daran muss sie alle Jahre zu Weihnachten denken: „Ja, da kommen jedes Mal die Erinnerungen“, sagt sie. Erinnerungen an die Kindheit in Sibirien, an Weihnachtsfeste, die so ganz anders abliefen als hierzulande. An heimelige Heiligabende in der Familie und an heimliche Weihnachtsgottesdienste.

Stolz zeigt Maria Jost auf ihren prachtvoll geschmückten Weihnachtsbaum im gemütlichen Wohnzimmer ihrer Kaldenkirchener Wohnung. Silberne Girlanden, bunte Kugeln, elektrische Kerzen. Unten, am Fuß des Baumes allerdings, inmitten der Schneewatte, ein paar ungewöhnliche Figürchen, eine Art pelzbemantelter Weihnachtsmann zum Beispiel, das Gesicht fast ganz verhüllt vom weißen Rauschebart. „Sowas hatten wir damals in Russland“, lächelt Jost.

Sie erzählt von früher. Vom Leben in Saratow an der Wolga, wohin ihre deutschen Vorfahren ausgewandert waren. Von der Verschleppung nach Sibirien, der späteren Umsiedlung nach Kasachstan. Das erging vielen Russlanddeutschen so. Die Zeit in Sibirien hat sie als Kind bewusst erlebt. So weiß sie noch, dass „Papa den Tannenbaum im Wald schlug“. Die Tanne war „geschmückt mit Selbstgebasteltem“. Am Heiligabend feierte die Verwandtschaft bei „leichtem Essen“ zusammen.

„Da kam dann von draußen der Mann mit dem Fell herein, das war der Pelznickel“, schildert Maria Jost. Der Pelznickel — eine russische Weihnachtsfigur, sollte man meinen. Mitnichten: Chroniken berichten, dass die Gestalt früher am Mittelrhein und in angrenzenden Regionen zum Weihnachtsbrauchtum gehörte, ein bisschen was vom Weihnachtsmann hatte und vom Knecht Ruprecht. Nach Russland ausgewanderte Deutsche pflegten diesen Brauch dort weiter.

So kam also am Heiligabend der Pelznickel zur Tür rein, die Fellmütze tief ins Gesicht gezogen: „Wir Kinder sollten nicht erkennen, dass er der Papa oder vielleicht ein Nachbar war“, schmunzelt Jost. „Ein bisschen Bammel“ vor dem Pelznickel hatten die Kinder unterm Tisch. Er fragte sie doch, ob sie artig gewesen seien. Aber der Mann kam nicht allein: „Das Christkind war dabei, ein junges Mädchen im weißen Kleid.“

Der Gottesdienst fand in einer Privatwohnung statt, heimlich kam ein Pastor dazu — Religionsausübung war den Deutschstämmigen verboten. Solche Erinnerungen prägen: „Darum bin ich dankbar, dass ich jetzt hier Heiligabend einfach so in unsere evangelische Kirche gehen kann“, sagt Maria Jost.

Sie freut sich aufs „ganz normale deutsche Weihnachtsfest“ mit Familie, Kindern und Enkeln. Erzählt sie dann von früher? „Ach ja, bestimmt“, lächelt sie.