Vogelstimmenwanderung durch den Wald Nettetaler Vögel zwitschern auch im Dialekt
Nettetal · Wie klingt der Buchfink? Wie singt der Gartenbaumläufer? Biologe Dennis Heynckes wusste es, den 40 Teilnehmern einer Vogelstimmenwanderung im Nettetaler Wald zu vermitteln. Es gab einige verblüffende Informationen.
„Wer kann mehr als fünf Vogelstimmen auseinanderhalten?“, fragt Dennis Heynckes zu Beginn. Nur wenige Hände der 45 Teilnehmer gehen hoch. Vergnügt lachen sich einige von ihnen an. Im Laufe der zweieinhalbstündigen Wanderung werden sie noch viel mehr verschiedene einheimische Vogelarten im Wald im Naturschutzgebiet der Biologischen Station Krickenbecker Seen kennenlernen als fünf.
Und das funktioniert zum Beispiel so. „Das hier ist ein Kernbeißer. Meistens sitzt er sehr weit oben auf den Bäumen. Obwohl er der größte Finkenvogel ist und einen großen Schnabel hat, ist sein Ruf sehr fein“, erklärt Heynckes und imitiert den Finken. Schnell schnappen sich die motivierten Wanderer ihr Fernglas. Nach wenigen Minuten informiert der Guide schon über den nächsten Vogel.
Um den Kursteilnehmern die Vogelstimme näherzubringen, nutzt Heynckes gerne Eselsbrücken. „Diese Stimme des Gartenbaumläufers klingt wie ein Handyklingelton. Es ist ein kleiner grauer Vogel mit einer hellen Unterseite. Er krabbelt am Stamm hinauf und kann unter Stämme springen, um dazwischen nach Insekten zu suchen.“
Die Vögel sind bei der Instandhaltung von Ökosystemen besonders wichtig, da man an ihnen erkennen kann, wie gut sich das Ökosystem entwickelt. Die Vogelpopulation geht jedoch allgemein eher zurück. „Es gibt Gewinner und Verlierer. Der Mittelspecht-Bestand zum Beispiel ist in den letzten 30 Jahren explodiert. Mittlerweile ist er unser zweithäufigster Specht, davor kam er nur im Osten Nordrhein-Westfalens vor. Auf der anderen Seite haben alle Insektenfresser und Langstreckenzieher abgenommen, da die Insekten weniger geworden sind“, erläutert Heynckes.
In der großen Gruppe bekommt natürlich nicht jeder immer all die vermischten Töne der Vögel mit. Das ist auch kein Wunder, denn einzelne Rufe sind teils weniger als eine Sekunde lang, während ein Gesang bis zu fünf Sekunden andauern kann.
Hat jemand eine Stimme nicht gehört, lässt sich diese leicht mit einer Vogelstimmen-App namens „Merlin Bird ID“ wiederholen. Mithilfe eines Fotos oder einer Aufnahme des Gesangs ist sie in der Lage, den gesuchten Vogel zu bestimmen. Heynckes verwendet sie zum Teil selbst, um einen Vogel aufzunehmen oder seine Vermutung zu bestätigen. „Solche Apps sind sehr hilfreich, aber ich werde durch sie nicht arbeitslos“, meint der Exkursionsleiter. Sie seien eine schöne Ergänzung, doch lohnten sie sich erst, wenn man wisse, wie alle Vögel aussehen.
Eine weitere Baustelle: Da die App von Amerikanern entwickelt wurde, zeigt sie auch nordamerikanische Vögel an und interpretiert in die aufgenommene Vogelstimme womöglich etwas Falsches hinein. „Wenn ihnen ein nordamerikanischer Vogel angezeigt wird, klingt er mit großer Wahrscheinlichkeit einfach nur ähnlich wie der Vogel, nach dem sie suchen“, erklärt Heynckes.
Was auf der Tour auch zu lernen ist: Auch Vögel besitzen Dialekte und haben je nach Standort unterschiedliche Stimmen. „Der Buchfink zum Beispiel klingt in den Alpen anders als hier. Die App zeigt diese Unterschiede jedoch nicht an.“ Heynckes findet die App für Anfänger empfehlenswert, würde aber – außer im Regen – immer ein Bestimmungsbuch bevorzugen. Ein Nachteil dabei ist aber, dass es meistens nur ein Foto oder eine Zeichnung je Vogel gibt, sodass er nicht vollständig in allen Varianten abgebildet werden kann.
Bei dem schnellen Tempo, mit Dennis Heynckes die Vogelstimme dem richtigen Vogel zuweist, muss keiner der Wanderer das Bestimmungsbuch aufschlagen. Der 26-jährige Masterstudent kann nach acht Jahren insgesamt ungefähr 150 bis 170 Vogelstimmen auseinanderhalten – viele der Kursteilnehmer staunen. „Es kommt auf jeden Fall auf die Übung an, die ersten 20 Vogelstimmen lassen sich bestimmt in einem Monat lernen, aber: Wichtig ist, dass man diese von anderen unterscheiden kann“, so Heynckes. Das weckt bei Anfängern und Fortgeschrittenen Neugier: Sowohl bei Julia Kissner, die sich seit 2023 bemühen möchte, möglichst viele Vögel auseinanderhalten zu können, als auch bei Dirk Mehler. Er ist schon als Kind mit seinem Opa zu Vogelwanderungen gegangen und hat sie vor zehn Jahren wieder für sich entdeckt.