Entdeckungsreise anno 2024 Wo liegt America? In den Niederlanden natürlich!
Nettetal/America · Man braucht keinen Düsenjet, um von Nettetal in einer halben Stunde nach America zu kommen. Bericht über eine Expedition.
Eine seidene Jacke und eine lebenslange Rente sollte der Matrose bekommen, der als erster Land sichtete. So steht es jedenfalls im Logbuch, das Christoph Kolumbus bei dem Selgeltörn führte, der ihn 1492 quasi versehentlich nach Amerika führte. Angesichts der ungewissen Zukunft der Rentenkasse wollen wir auf solche Belohnung gar nicht erst hoffen, als wir an einem Samstagmorgen im Jahre des Herren 2024 zu unserer eigenen Expedition nach America aufbrechen. An der Tanke in Kaldenkirchen noch schnell einen Schokoriegel als Proviant gekauft – und ab geht’s auf die Reise gen Norden.
Äh, Norden? Sollten wir nicht lieber wie weiland Kolumbus strammen Westkurs halten? Nö. Denn America liegt heute viel näher als 1492. Das hat nichts mit der Kontinentaldrift zu tun. Sondern damit, dass die Niederländer America inzwischen geklaut haben. Oder besser: kopiert. Denn ja, schlappe 38 Kilometer Autofahrt über A 61, A 73, durch Horst hindurch, dann doch noch ein paar Kilometer westwärts – und wow! – wir rollen langsam an der Freiheitsstatue vorbei. Ein erhabener Moment, wie ihn Hunderttausende Einwanderer vor uns erlebt haben?
Nicht ganz. Denn die Freiheitsstatue ist ziemlich klein und reckt ihre Fackel auf dem Vordach einer Imbiss-Bude gen Himmel – darunter eine Leuchtreklame für Coca Cola. Schluck. Aber das Navi zeigt unmissverständlich: Wir sind mitten in America angekommen. 24,87 Quadratkilometer groß ist das Dorf in der Gemeinde Horst aan de Maas, 2065 Einwohner wurden 2022 gezählt, lesen wir bei Wikipedia. The greatest country in the world? Donald Trump würde darauf bestehen.
Aber vergessen wir Trump, vergessen wir auch den Schokoriegel und gönnen uns lieber ein T-Bone-Steak im Imbiss-Saloon! Die Bedienung grüßt freundlich, augenscheinlich Nachfahren von Einwanderern aus Asien. Ein Blick auf die Karte: Loempia, Fritten, Bitterballen... Na gut, dann eben die heimische Delikatesse: Frikandel speciaal. Schmeckt ab und zu auch mal.
Gestärkt brechen wir zu einer Erkundung per pedes auf. Unseren blechernen Planwagen lassen wir auf den großen Parkplatz im Ortskern stehen. Einmal umgedreht – und das größte Gebäude Americas ist in Sicht. Nicht das Empire State Building, nein: die Sint Jozef Kirche. Wären wir ein Autofan, unser Herz würde jetzt schneller schlagen. Vor der Kirche parkt ein schneeweißer Buick Century. Ein 70-er oder 80-er Jahre-Modell? Keine Ahnung. Aber very amerikanisch.
Vorbei an der Kirche führt unser Treck über die Pastor Jeukenstraat. Links zwei Geschäfte, dann liegt die City hinter uns. Es geht in den dünner besiedelten Westen. Menschenleer ist der freilich nicht. Rechts und links gepflegte Einfamilienhäuser, doch dann, an einer Ecke: eine Rasenfläche mit einem großen runden, in Wellblech gefassten Loch, umgeben von einem Drahtzaun. Militärisches Sperrgebiet? Ein unterirdisches Atomraketensilo? Bloß unauffällig weg hier! Zu allem Überfluss sind wir ohne Visum und ohne Greencard eingereist. Wenn wir hier jetzt erwischt werden...!
Das Sightseeing undercover lohnt sich aber auch weiterhin. Zwei Palmen in einem Vorgarten – wir müssen Florida erreicht haben! Und da, in einer Hauseinfahrt zur Rechten stehen zwei lebensgroße Figuren von Ronald McDonald. Sagenhaft! Jetzt wissen wir auch, wo der wohnt! Noch ein paar Meter weiter – und der Marsch hat ein jähes Ende. Rechts und links des Weges signalisieren Schilder: Hier ist America zu Ende. Rüber nach Mexiko? Lieber nicht.
Zurück in der City fällt der Blick auf eine Tafel, die die Geschichte Americas erzählt. Vor 1800, ist zu lesen, war America ein großes Heidegebiet. Erschlossen und besiedelt wurde es im 19. Jahrhundert. 1885 bekam es eine Bahnstation. Seinen Namen verdankt es dem „großen Amerika“ – das für Europäer einst ein ähnlich abgelegenes und unerschlossenes Territorium war. Wir lernen: Die ersten Americaner hatten Humor.