Roman-Kulisse Tagebau

Autorin Anja Wedershoven lässt eine Geschichte am Rand der „großen Grube“ spielen.

Niederrhein. Die Mönchengladbacherin Anja Wedershoven hat in diesem Jahr ihren ersten Roman veröffentlicht. In „Schürfwunden“ spielt der fiktive Ort Lossweiler eine Rolle, der vom Braunkohle-Tagebau geschluckt werden soll. Dagegen setzt sich die alte Charlotte zur Wehr, die bis zum Schluss für ihr Haus kämpft. Wedershoven, Jahrgang 1968, hat unter anderem schon für Zeitungen und Verlage gearbeitet.

WZ: Frau Wedershoven, wie sind Sie auf das Thema Tagebau gekommen?

Wedershoven: Ich wohne in Odenkirchen, fahre also regelmäßig an der großen Grube vorbei. Und da Fotografieren mein Hobby ist, war ich oft auf Motiv-Streifzug in einem wegen des Tagebaus verlassenen Ort. Außerdem habe ich Bekannte, die umgesiedelt wurden. So habe ich den Hintergrund für meinen Roman gefunden. Thematisch geht es mir eher um Emanzipation, Beziehung und Liebe.

WZ: Wie lange haben Sie für Recherche und Schreiben gebraucht?

Wedershoven: Alles in allem habe ich rund anderthalb Jahre am Roman gesessen. Ich habe parallel zum Schreiben recherchiert.

WZ: Wie muss man sich die Recherche vorstellen?

Wedershoven: Ich habe zum Beispiel eine ältere Dame auf dem Friedhof von Neu-Otzenrath angesprochen und sie gefragt, ob sie dabei war, als ihr verstorbener Mann umgebettet wurde. Er war nämlich noch in Alt-Otzenrath beerdigt worden, das ja den Baggern weichen musste. Sie erzählte mir sinngemäß, dass sie nicht bei der Umbettung habe dabei sein wollen. Sie hätte es nicht sehen können.

WZ: Haben Sie ein weiteres Beispiel für Kontakt mit Betroffenen?

Wedershoven: Unter anderem habe ich den Küster einer aufgegebenen Kirche kennengelernt. Ich wollte nämlich unbedingt in dieses Bauwerk, in dem noch alles vorhanden war, aber nicht mehr genutzt wurde. Das war vor allem für die älteren Menschen ein Problem.

WZ: So ist es wohl auch kein Zufall, dass auch ihre Figur Charlotte zur älteren Generation gehört?

Wedershoven: Nein, das habe ich bewusst so gewählt. Auf einer meiner Touren bin ich an einem Haus vorbeigekommen, an dem ein Schild befestigt war. Auf dem stand: „Dieses Haus ist bewohnt!“ Alle anderen waren bereits leer. Da habe ich mich gefragt: Wer bleibt so lange? Wer hält eine solche Situation aus? Und das konnte für mich nur ein älterer Mensch sein, der über eine gewisse Sturheit verfügt.

WZ: Können Sie diese Haltung, wie sie auch „Charlotte“ zeigt, verstehen?

Wedershoven: Ja, ich kann Charlotte verstehen, ihren Schmerz nachempfinden. Aber ich würde wohl nicht so handeln, wenn ich an ihrer Stelle wäre. Ich hätte den Ort verlassen. Es ist ganz interessant, dass viele Leser sich intensiv mit Charlotte beschäftigen, obwohl eigentlich ihre Enkelin Katja, die in einer Art Midlife-Krise steckt, die Hauptperson des Romans ist. Während sie die Kraft hat, etwas Neues anzufangen, schafft es ihre Großmutter nicht. Mir ist durch das Buch außerdem klargeworden, dass Heimat — wenn ich diesen alten Begriff verwenden darf — immer noch ein starkes Thema ist, das Menschen bewegt.

WZ: Haben Sie auch mit Verantwortlichen des Tagebaus gesprochen?

Wedershoven: Nein, nur mit einer Enteignungsbehörde. Und die war nicht direkt für das rheinische Revier zuständig. Aber Enteignungen laufen immer gleich ab. Das ist ein behördlicher und juristischer Prozess, den ich mir erklären lassen wollte. Mein Buch ist allerdings keine Anklageschrift gegen den Tagebau, sondern ein Roman, der in diesem Umfeld spielt.

WZ: Wird es eine Fortsetzung geben?

Wedershoven: Das weiß ich noch nicht. Anknüpfungspunkte gäbe es zwar, und ich wurde auch schon danach gefragt. Aber ich hatte es eigentlich nicht so geplant.