„Schwimmen ist doch wichtig“
Die Geduld bei Eltern und Schülern scheint eine Grenze erreicht zu haben: Sie fordern endlich regelmäßigen Schwimmunterricht.
Nettetal. Durch das Fenster sieht das Lehrschwimmbecken in Breyell aus, als müsste jeden Moment der Unterricht losgehen. Das Becken ist voll Wasser, Muster kräuseln sich auf der Oberfläche, bunte Schwimmnudeln hängen am Rand. Doch erst einmal wird kein Kind in das 1,20 Meter tiefe Wasser steigen. Seit Februar ist das Becken wegen Mängeln geschlossen. Wann es wieder genutzt werden kann, ist derzeit unklar.
Bärbel Kall dauert das alles viel zu lange. Die 63-Jährige ist schon als Kind in Breyell geschwommen. Dass die Stadt sich nicht früher um die Sanierung oder einen Ersatz bemüht hat, wurmt sie: „Das Becken ist ja nicht von heute auf morgen alt geworden.“ Ihre beiden Enkel besuchen die katholische Grundschule direkt neben dem Gebäude. „Seit Jahren haben sie keinen Schwimmunterricht“, sagt Kall. „Dabei ist der doch wichtig für Kinder.“ Sie war beim Nettebetrieb und hat zudem mit Bürgermeister Christian Wagner (CDU) gesprochen. Beruhigt hat sie das nicht. „Man wird hingehalten“, sagt sie. Mit ihrem Mann unterrichtet sie die Enkel selbst.
Auch andere Eltern bedauern den Zustand in Breyell. „Wir sind schon mal nach Kaldenkirchen ausgewichen“, sagt Stephan Mayer (37), dessen Kinder fünf und zehn Jahre alt sind. „Aber das Schwimmbad ist nicht geeignet für kleine Kinder.“ Natasja Vledder (45) war es wichtig, dass ihre drei Kinder vor der Einschulung das Seepferdchen haben. „Aber dann können sie noch nicht schwimmen“, sagt sie. „Dafür müssen sie in den ersten Jahren viel üben.“ Auf die Mitschüler von Jutta Siebens Tochter (47) habe der fehlende Schwimmunterricht schon konkrete Auswirkungen gehabt. „Sie waren auf Klassenfahrt am Meer“, berichtet die Mutter. „Wer das Bronze-Abzeichen nicht hatte, durfte nicht ins Wasser. Das waren eine ganze Menge.“
Das Lehrschwimmbecken in Breyell wurde 1964 gebaut und 1987 saniert. In den vergangenen drei Jahren war es mehrfach geschlossen, im Februar hat die Stadt es zuletzt dicht gemacht. „Es ist alt und sanierungsbedürftig“, sagt Stadtsprecher Jan van der Velden. „Es treten immer wieder Schäden auf.“ Zunächst habe das Becken Wasser verloren, dann sei der Schaltschrank, mit dem die Filtertechnik geregelt wird, kaputtgegangen. Nun warte man auf die Ergebnisse der letzten Beprobung: Die Wasserqualität stimmte nicht. Die Stadt rechne mit einer Rückmeldung vom Gesundheitsamt noch in dieser Woche. „Dann könnten wir nach den Weihnachtsferien wieder aufmachen“, sagt van der Velden.
Eine Dauerlösung ist das nicht, weiß auch die Stadt. Darum sollen ab dem nächsten Schulhalbjahr für alle Nettetaler Grundschulen Schwimmzeiten im Schwimmbad in Kaldenkirchen gewährleistet werden. Bis zur Schließung in Breyell sind dort auch Lobbericher und Schaager Schüler geschwommen. „Erschwerend kommt hinzu, dass in Hinsbeck auch das Becken geschlossen ist“, sagt van der Velden. Derzeit laufe eine Machbarkeitsstudie: Lohnt sich der Neubau in Breyell oder bekommt Kaldenkirchen ein zweites Becken?
Inzwischen zeigt sich an den weiterführenden Schulen ein Folgeproblem: „Wir haben in den fünften Klassen immer mehr Nichtschwimmer“, sagt Irene Sieker, kommissarische Leiterin der Gesamtschule Breyell. Die Schwimm-AG, einst für Leistungsschwimmer gedacht, wurde zum Schuljahresanfang darum auch für Anfänger geöffnet. „Es sind nicht mehr so viele da, die besonders gut schwimmen können“, sagt Sieker. Weiten Teilen der Jahrgangsstufe 5 Schwimmen beizubringen, sei im Lehrplan nicht vorgesehen. „Dafür bräuchten wir zwei Lehrer pro Klasse“, sagt die Schulleiterin. „Die haben wir nicht.“
Sieker will niemandem einen Vorwurf machen, sie sagt aber: „Wir leiden unter den wenigen Schwimmzeiten.“ Denn hinzu kommt außerdem, dass der Schwimmunterricht in der Klasse 5 fast ausfällt. Die Lehrer arbeiten mit einer Mischform aus Theorie und Praxis. Weil die Fünftklässler aber zu diesen Zeiten nicht — wie im Stundenplan vorgesehen — im Schwimmbad sind, wird es in der Zweifach-Turnhalle eng. „Es ist eine ungünstige Situation“, sagt Sieker. Die sechsten Klassen fahren einmal in der Woche zum Schwimmunterricht nach Kaldenkirchen. Die Fahrt und das Umziehen während Doppelstunde müssen gut organisiert sein: Laut Sieker bleibt eine halbe Stunde Schwimmzeit übrig.