Viele braune Flecken im Kreis Viersen

Die rechtsextreme Szene breitet sich immer weiter aus. Für die NPD ging ein eigener Bürgermeisterkandidat ins Rennen.

Kreis Viersen. Als die Polizei im Frühjahr im nicht-öffentlichen Teil des Hauptausschusses über rechtsextreme Vorkommnisse in Viersen referierte, sagte ein Ratsherr: „Jetzt weiß ich, dass ich ruhig schlafen kann.“ Doch statt nun „Gute Nacht“ zu sagen, lohnt sich genaueres Hinschauen: Es gibt in der Heimatstadt des ehemaligen NPD-Bundesvorsitzendem Udo Voigt einige Neonazis und Parteifunktionäre, die dem Verfassungsschutz bekannt sind.

Da ist der NPD-Bürgermeisterkandidat Siegfried Martin; der NPD-Vorsitzende des Kreises Viersen kommt aus Sachsen. Da ist der NPD-Ratsherr und das ehemalige NPD-Kreistagsmitglied Gunter Kretzschmann, geboren in Chemnitz. Da ist der Essener NPD-Ratsherr Marcel Haliti, der in Viersen lebt. Da ist der Kempener Philippe Bodewig. Seit 2014 ist er Mitglied in der Partei „Die Rechte“, Kreisverband Wesel/ Mülheim; vorher war er Funktionär der NPD in Krefeld.

Man darf getrost davon ausgehen, dass sich um diese „öffentlichen Gestalten“ weitere Sympathisanten tummeln. Schließlich schaffte es die NPD bei der Kommunalwahl 2009, für alle Kreiswahlbezirke Direktkandidaten aufzustellen. Nicht umsonst gab es 2010 eine Kreiskameradschaft Viersen und eine Kameradschaft Brüggen. Nachdem die Kameradschaften 2012 verboten wurden, sind die Gruppierungen verschwunden. Offiziell. Und die Menschen und ihre Überzeugungen? Sind mit Sicherheit nicht alle unbekannt verzogen.

„Der Kreis Viersen ist nicht exterritorial“, sagt Politikwissenschaftler Professor Klaus-Peter Hufer. Die Wahrheit zwischen „Es gibt keine rechte Szene“ und „Hier ist ein brauner Sumpf“ dürfte irgendwo in der Mitte liegen: Es gibt eine diffuse Braunzone — auch im Kreis Viersen.

„Neben den bekannten Personen geht der Verfassungsschutz von sieben bis zehn Mitläufern aus, die regelmäßig NPD-Demos besuchen. Klar können gewisse ,Zugpferde’ dem rechten Flügel weitere Leute zuführen“, sagt Willy Thevessen, Sprecher der Polizei Mönchengladbach, bei der der Staatsschutz angesiedelt ist. Angesichts der aktuellen Flüchtlingszahlen habe die Polizei rassistische Strömungen im Blick. „Die Sicherheitsbehörden sind da sehr sensibel. Vor Flüchtlingsunterkünften wird regelmäßig Streife gefahren. Unsere Leute haben dort auch schon bestimmte Personen angetroffen und ihnen gesagt: Macht Euch vom Acker!“, erzählt Thevessen.

Anders als in Dortmund und im Aachener Land gebe es im Kreis Viersen aber keine gefestigte, organisierte Szene, so der Polizeisprecher. Das bestätigt die Statistik: keine Gewalttaten, „nur“ die üblichen Delikte aus der Szene: Sachbeschädigungen und Propaganda-Delikte. Dazu gehören Plakatschmierereien und das Verteilen von Aufklebern.

Nichts sonderlich Alarmierendes, wenn man nicht wie Franz Lohbusch einer andersdenkenden Partei wie der Linken angehört. Lohbusch fühlte sich mehrfach von Neonazis drangsaliert, durch Schmierereien vor dem Parteibüro und durch Fotografiert-Werden. Das Fotografieren des „Gegners“ ist eine typische Drohgebärde aus der Szene. Auch der Kempener Politikwissenschaftler Hufer wurde in seinen Vorträgen bereits von Rechtsextremen gestört. Die NPD-Kundgebungen am 15. August in Viersen und Dülken dürften ebenfalls viele Bürger aufgeschreckt haben. Viele Aktivitäten haben sich inzwischen auch ins Internet und in die sozialen Medien verlagert. Und nicht immer sind es abgeschottete Chaträume, in denen Neonazis ihre Meinung äußern.

Das zeigte sich in einem Kempener Forum bei Facebook im August. Da postete Bodewig unter anderem das Parteilogo „Die Rechte“ und ein „I love HTLR“-Bild. Unter Volksverhetzung fällt das nicht. „Es ist nicht strafbar. In der Szene weiß man meist gut, wo die juristischen Grenzen liegen“, sagt Thevessen. Vielleicht das Erschreckendste an dem Vorgang: Die Äußerungen blieben tagelang auf Facebook stehen, ohne dass ein Administrator eingriff.