Amoklauf in Schwalmtal vor einem Jahr: Ein Dorf will endlich Ruhe
Amoklauf: Drei Tote forderte ein Streit um Haus und Scheidung im beschaulichen Amern. Ein Jahr danach sind immer noch viele Fragen offen.
Schwalmtal. Am Mittwoch vor einem Jahr, am späten Nachmittag, zerrissen Schüsse die Stille im Blumenviertel des Schwalmtaler Ortsteils Amern. Nach Stunden die grausame Bilanz: Rentner Hans P. hatte drei Menschen erschossen, zwei Anwälte und einen Gutachter. Einen weiteren Gutachter verletzte er mit Schüssen schwer. Nur mit Glück konnte dieser lebend entkommen.
Es folgte ein nervenaufreibendes Jahr - für viele Menschen: die Familien der Betroffenen, aber auch für die Nachbarn. Die meisten der Anwohner wünschen sich inzwischen nur noch Ruhe. "Das Haus soll einen neuen Eigentümer bekommen. Jemanden, der gar nichts damit zu tun hat, und dann möchten wir in Frieden leben können", sagt jemand, der in der Nähe wohnt.
"Es wäre gut, wenn nach dieser Tragödie nun Ruhe einkehrte", sagt auch der stellvertretende Bürgermeister Kurt van de Flierdt. Niemand in dieser Gemeinde dürfe und werde die Opfer je vergessen. Und eines habe die Bluttat sicherlich gelehrt: "Wir alle müssen aufmerksam durchs Leben und durch unsere Nachbarschaft gehen."
Die herbeigesehnte Ruhe wird so schnell nicht einkehren. Denn zunächst steht das Haus, in dem die schrecklichen Taten stattfanden, zur Versteigerung - mal wieder. Zwei Termine im Frühjahr und Sommer waren ergebnislos verstrichen. Am 10. September können erneut Gebote abgegeben werden.
Das Haus im beschaulichen Amern war der Dreh- und Angelpunkt der Tat gewesen. Hauptsächlich um das Haus, seinen Wert, und darum, wer es bei der Scheidung behalten darf, war es im Streit zwischen der Tochter des Todes-Schützen und ihrem Ex-Ehemann gegangen. Der Vater hatte dann in der - wie das Gericht feststellte - wahnhaften Überzeugung, alle Gutachter und Anwälte hätten sich gemeinsam mit seinem Ex-Schwiegersohn verschworen, um seine Tochter um ihr Recht zu bringen, die tödlichen Schüsse abgefeuert. Wie durch ein Wunder überlebte einer der Gutachter den Amoklauf; er leidet heute noch unter den Folgen, sucht immer noch nach dem Weg zurück in die Normalität.
Ob der Schlussstrich, den das Gericht am 13. April mit dem Urteil unter den Prozess gegen den Rentner zog, Bestand hat, ist auch noch nicht klar. Der wegen Mordes zu 15 Jahren Haft und dauerhafter Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt verurteilte Hans P. hat über einen Berliner Anwalt Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof eingelegt.
Dort dauert es erfahrungsgemäß etwa ein Jahr, bis eine Entscheidung vorliegt. Sollte das oberste Gericht der Revision stattgeben, müsste der Prozess vor einer anderen Kammer des Mönchengladbacher Landgerichts komplett neu aufgerollt werden.
Ob die Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft aktuell noch gegen die Frau und die Tochter des Täters ermittelt, dazu konnte Presse-Staatsanwalt Peter Aldenhoff nichts sagen. Der zuständige Dezernent, Stephan Lingens, sei in Urlaub, und nur dieser kenne den aktuellen Sachstand. Im Plädoyer hatte der Staatsanwalt der Tochter mehr als eine moralische Mitschuld angelastet.
Die Gutachter des Kreises Viersen gehen übrigens weiterhin ohne Polizeischutz zu ihren Terminen. "Das heißt aber nicht, dass wir den Fall nicht thematisiert hätten", sagt Herbert Calefice, der Leiter des Katasteramtes. Es habe viele Gespräche und auch Fortbildungen zu diesem Thema gegeben. Natürlich seien alle Kollegen sensibilisiert, man gucke sehr genau in die Gerichtsakten, bevor man zu einem Termin gehe. Einmal nach der Tat von Schwalmtal sei ein Gutachter mit Polizeischutz zu einem Termin gefahren, weil die Gerichtsakte Aufschluss über ein Gewaltpotenzial in der Familie gegeben habe.
Im Gegensatz zu den Gutachtern haben die Anwälte keine Fortbildungen absolviert. "Es geht alles weiter wie bisher", sagt Klaus Böhm, der Vorsitzende des Landesverbands Nordrhein-Westfalen des Deutschen Anwaltvereins. Anwälte seien eben Individualisten. In Vier-Augen-Gesprächen werde natürlich darüber gesprochen, aber ein abgestimmtes Gruppenverhalten gebe es nicht. "Das entscheidet jeder für sich selbst."