Finaleinzug: Feiern im Fußball-Feindesland

Wie feiern die Holländer? Können die das überhaupt? WZ-Mitarbeiterin Heike Ahlen wollte es wissen.

Roermond. Dienstagabend, kurz vor neun im Hause Ahlen. "Holland vor, noch ein Tor", singt die zweieinhalbjährige Ida und hüpft im orangefarbenen Schlafanzug auf dem Sofa auf und ab. Auf ihrem Schoß liegt die rot-weiß-blaue Flagge des Nachbarlandes. Wir beherbergen für einige Monate einen jungen Niederländer, und die WM-Spiele sind geprägt von gegenseitigen Sticheleien. "Keiner kann so schön Korso fahren wie wir", behaupte ich immer. Und jetzt will ich es wissen: Was machen denn die Menschen im Nachbarland, wenn ihre Mannschaft tatsächlich ins Finale kommt? Ich will nach Roermond.

"Du musst nicht nach Roermond fahren, sondern nach Amsterdam, da ist heute richtig was los", sagt Yorick, unser Niederländer. Nach dem Ausgleich für Uruguay wird er ruhig. "Aber die gewinnen noch", sagt er in seiner stoischen Art. 2:1, 3:1. Yorick strahlt. Dann kann ich ja jetzt fahren.

Die N 280 ist wie leergefegt, nur ein paar Lkw sind unterwegs. Im Westen über dem Retail-Center geht in gleißendem Oranje die Sonne unter. Ein schöner Anfang für einen langen Abend. Am Designer-Outlet-Center ist es totenstill. Ich fahre über die Einfallstraße in Richtung Stationsplein. Wenn irgendwo etwas los sein wird, dann da - habe ich beschlossen. Kein Mensch ist auf der Straße. Erste leise Zweifel. Wird hier vielleicht nicht gefeiert? Es müsste doch jetzt der Schlusspfiff kommen. Haben die Urus noch aufgeholt?

In dem Moment explodiert hell leuchtend ein Böller vor mir auf der Straße. Und dann ist es, als hätte jemand einen Hebel umgelegt. Noch hundert Meter bis zum Bahnhofsvorplatz - und es ist keine Frage mehr, ob hier gefeiert wird. Die harten Techno-Beats lassen mein Auto erzittern. Der ganze Platz ist in Orange getaucht - und er bebt. Hier feiert die Jugend von Roermond. "Johannesburg, here we come" steht auf dem riesigen Bildschirm, der über dem Platz schwebt. Die Menschen hopsen im Takt, tanzen Polonaisen - und plötzlich ist auch die Straße voll, der Korso rollt.

Die meisten Fans haben sogar Stangen für ihre Fahnen, damit sie sie besonders schön schwenken können. Sie singen, sie jubeln, sie liegen sich in den Armen. Um Himmels Willen, bloß nicht als Deutsche auffallen hier, nichts sagen müssen. Aber man kann ohnehin sein eigenes Wort nicht verstehen. Das muss auch niemand. Ich trage kein Orange, werde trotzdem umarmt und strahle mit. Tatsächlich feiern viele auch ohne Fan-Outfit. Die Polizei steht etwas abseits und schaut dem Treiben zu. Und trotz aller überschwänglichen Freude geht es gesittet zu. Der Korso hält an roten Ampeln, wer einbiegen will, dem wird Platz gemacht.

"You’ll never walk alone", dröhnt es aus den Lautsprechern, die Hände gehen zum Himmel. Ich gehe zurück zu meinem Auto und reihe mich in den Korso ein, der Richtung Nationalstraße rollt. Und weil ich an diesem Auto eine Hupe habe und sie auch bedienen kann, schaut niemand schräg auf mein deutsches Kennzeichen, die Leute lachen und winken mir zu. Ach, wäre das schön, wenn wir am Sonntag gemeinsam gucken könnten, wer in besserer Feierlaune ist - die Holländer oder wir.