Anrath: Not hat den Grundstein gelegt
Der Obst- und Gartenbauverein wird 90 Jahre alt. Der Vorsitzende blickt aus diesem Anlass auch auf längst vergangene Zeiten zurück.
Anrath. Dem Protokollbuch sieht man seine Jahre an. Die Kladde ist abgegriffen, die Seiten sind vergilbt. Die gestochen scharfe Schrift ist schwer zu lesen, denn was hier steht, ist in Sütterlin verfasst. Es handelt sich um das erste Protokollbuch des Obst- und Gartenbauvereins Anrath, und das stammt aus dem Gründungsjahr 1920. "Wir feiern in diesem Jahr unser 90-jähriges Bestehen", sagt Ludwig Pöllen, Vorsitzender und Fachberater des Vereins.
Gefeiert wird im Rahmen des alljährlich stattfindenden Oktoberfestes bei Schmitz Mönk, allerdings mit mehr Programm als bei den üblichen Feiern zum Erntedankfest.
Die Original-Flöthbachtaler-Musikanten treten auf, der Bauchredner Jens aus Krefeld ist zu Gast, und der schon seit vielen Jahre bekannte Taxi-Toni ist ebenfalls mit von der Partie.
"Den Grundstein für den Verein legte damals im Prinzip die Not", sagt Pöllen mit Blick auf das Gründungsprotokollbuch. "Um diese zu lindern, entstanden in vielen Orten Obst- und Gartenbauvereine. Auch hier in Anrath wurde der Wunsch nach Gründung eines solchen Vereins immer lauter." Das gehe aus dem Protokoll hervor. Rektor Drühe war es damals, der die Gründung vorbereitete und auch den Vorsitz übernahm.
Am 24. Oktober 1920 wurde die Idee, einen Verein zu gründen, geboren. Die eigentliche Gründungsversammlung, bei der sich direkt 74 Bürger als Mitglied einschrieben, fand dann in der Wirtschaft Schmitz statt, die auch noch heute Vereinslokal ist. Drei Reichsmark waren damals das so genannte Eintrittsgeld. Der monatliche Mitgliedsbeitrag lag bei 50 Pfennig.
1933 zählte der Verein bereits über 100 Mitglieder, 563 in seiner Spitzenzeit 1948. "Auch hier gilt, dass die Not nach dem Zweiten Weltkrieg besonders groß war", sagt Pöllen.
In den alten Protokollen wurde auch so manches festgehalten, das einem heute wie eine Anekdote vorkommt. So gab es 1937 eine Aufforderung des Deutschen Landestags, Maulbeerbäume anzupflanzen und Seidenraupen zu züchten. Empfohlen wurde dies, um "Personen, die der sozialen Fürsorge zur Last liegen, einen Nebenerwerb zu ermöglichen".
Im Februar 1940 wurde vermerkt, dass es so kalt war, dass es dem Boten nicht zumutbar gewesen sei, die Monatseinladung auszutragen. Die Versammlung fand daher mit einwöchiger Verspätung statt. Die Sitte, dass ein Bote die Einladung zur Monatsversammlung bringt, hat sich bis heute gehalten.
Auch in Sachen Beitrag hat sich nicht viel verändert. Der liegt bei einem Euro im Monat. Ein "Eintrittsgeld" muss aber niemand mehr zahlen. Vielmehr macht sich der Verein Sorgen: "Wir sind überaltert. Es kommen wenig neue, jüngere Mitglieder dazu", sagt Pöllen. Dennoch liegt die Mitgliederzahl derzeit bei 120, Tendenz allerdings fallend. Aber jetzt freut sich der Verein erst einmal auf sein Jubiläum, denn 90 Jahre hat man immerhin schon geschafft.