„Depressiver Jahresrückblick“ mit Jess Jochimsen
Jess Jochimsen konnte die „Motte“ im Schloss Neersen zwar nicht füllen, wusste aber mit schwarzem Humor zu unterhalten.
Neersen. Das „Dosenmilchtrauma“ hat er längst abgehakt, sein aktuelles Programm heißt „Durst ist schlimmer als Heimweh“. Jess Jochimsen war zum zweiten Mal in Neersen. Leider war die „Motte“ des Schlosses nicht einmal annähernd ausverkauft. Und der gebürtige Münchener, der in Freiburg lebt, hat sein einstiges Hauptthema, seine Kindheit in einem linken Elternhaus in Bayern, offenbar abgearbeitet. Jetzt war alles irgendwie beliebiger.
Aber wie in den früheren Programmen spielten Musik und eine Diashow eine gewisse Rolle. Jess Jochimsen gab sich entspannt: „Wir machen uns einen schönen Abend“, versprach er dem Publikum. Da sollte er recht behalten: „Das Programm hat keinerlei Struktur“, kündigte er an. Ach ja: Eine Art „depressiver Jahresrückblick“ solle es werden.
Wirklich das psychische Gleichgewicht aus dem Lot bringen hätten die Dias vermocht, die Jess Jochimsen überall in der Republik aufgenommen hatte — sie zeugten von tiefer Trostlosigkeit an Orten, an denen der sprichwörtliche Hund begraben ist. Wie gesagt: Ein Konzept gab es nicht, der Kleinkünstler ließ seiner Spielfreude freien Lauf.
Und er ließ seinen Sohn zu Wort kommen, der seiner Oma gegenüber zu verstehen gab: „Wenn du stirbst, kriege ich einen Tag schulfrei.“ Ebenfalls ein trostloses Thema: Selbstmord. Jess Jochimsen kannte sich in der Statistik aus: „Alle drei Minuten versucht es jemand, alles 47 Minuten schafft es einer.“ Selbstmörder könnten ihr Vorhaben durch die vielen Zugausfälle jedoch nur unzureichend planen.
Jess Jochimsen hat sich seinen schwarzen Humor bewahrt. Das wurde erkennbar an Sätzen wie diesen: „Die Yuppies kommen wieder — diesmal ohne Geld.“ Oder, noch bizarrer: „Wenn beim Synchronschwimmen eine Schwimmerin ertrinkt, was machen dann die anderen?“
„Es ist einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist“: Auch das ist typischer Jochimsen-Humor. Der Kleinkünstler, Autor und Musiker hatte sie im Visier, die Spießer, die zu langweiligen Feiern in Puschen einladen und deren Einladung man nicht ausschlägt: Feigheit vor dem Freund.
Auch der Generationenkonflikt flackerte kurz auf, am Beispiel von Franz-Josef Strauß und seinem Sohn Max: „Der Vater hat einen Flughafen, der Sohn noch nicht mal einen Parkplatz“, fasste Jochimsen zusammen. Es war ein entspannter Abend, wie versprochen, wobei sich die Freunde des schwarzen Humors mit einem Faible für die Feinheiten der deutschen Sprache besonders gut aufgehoben gefühlt haben dürften. rudi