Spurensicherung Er kommt erst, wenn die Kripo geht

Klaus Kujawa ist Tatortreiniger. Das Schwerste an seinem Job sei, wenn er nach persönlichen Dingen suchen müsse und mehr „über das Leben erfährt, das gelebt worden ist“.

St. Tönis. Eimer, Schwämmchen, Flaschen voller Reinigungsmittel — das ist nichts Außergewöhnliches fürs Putzen einer Wohnung. Weißer Ganzkörperanzug, Plastiküberzieher für die Schuhe und Insektenvernichter aber schon. Bei der Arbeit sieht Klaus Kujawa fast aus wie ein Spurensicherer am Tatort. Aber der 56-Jährige kommt erst, wenn die Kriminalpolizei geht. Kujawa ist Tatortreiniger beim Team Franzen, das seinen Sitz an der Kaiserstraße in St. Tönis hat und am ganzen Niederrhein arbeitet.

Foto: Dirk Jochmann

Das, was Kujawa bei seinen Einsätzen sieht, ist nichts für schwache Nerven. Um zu verdeutlichen, wie seine Arbeit aussieht, ohne ins Detail zu gehen, sagt Kujawa nur eines: „Ich ziehe immer alte Kleidung an, die ich danach wegwerfe.“ Meist auch die Schuhe. Nicht immer helfen die Plastiküberzieher. Der Geruch, der sich in einer Wohnung verbreitet, in der ein Toter womöglich lange unentdeckt gelegen hat, setzt sich in jede Faser, jedes Material. Eine kleine Hilfe für den Tatortreiniger sind eukalyptushaltige Salben, die er sich unter die Nase reibt. In schlimmen Fällen kommt die körperliche Reaktion trotzdem sofort. Dann hilft auch kein Luftschnappen an einem Fenster. „Dann muss ich mich übergeben. Das ist ein Reflex.“

Ekel im eigentlichen Sinne kennt Kujawa trotzdem nicht, sagt er. Die Überwindung setzt für ihn „viel später ein“. Wenn er zum Beispiel nach persönlichen Papieren suchen muss oder private Fotos sieht. „Dann entwickle ich einen Bezug zum Verstorbenen, erfahre etwas über das Leben, das gelebt worden ist. Meine Arbeit ist immer ein Einbruch in einen ganz persönlichen Bereich“, sagt der Team-Franzen-Mitarbeiter.

Das Unternehmen reinigt auch Wohnungen, in denen Messies leben beziehungsweise lebten oder Mietnomaden ihre Spuren hinterlassen haben. Der Auftrag, einen Tatort zu reinigen, ist in seinem Berufsfeld der Extremfall, sagt Kujawa. Bei einem großen Teil handele es sich „einfach um Menschen, um die sich niemand gekümmert hat“. Menschen, deren Tod nicht weiter aufgefallen sei. „Die Vereinsamung in der Gesellschaft ist das Gravierendste“, urteilt der 56-Jährige, der vor dieser Tätigkeit unter anderem als Arbeitstherapeut für eine soziale Organisation in Krefeld entlassene Straftäter betreut hat.

Klaus Kujawa, Tatortreiniger

Bei diesem Engagement zur Wiedereingliederung von Menschen, die, wie er sagt, „oft mit psychischen Problemen und Drogensucht zu tun hatten“, habe er auch Todesfälle erlebt. „Beispielsweise nach einer Überdosis“, so Kujawa. Er habe damals bereits gemerkt, dass er damit umgehen kann. Und durch den Kontakt zum Gründer des Teams Franzen, Thomas Franzen, ein guter Bekannter, wurde daraus mehr.

Seit Januar sorgt Kujawa dafür, dass Appartements und Häuser wieder bewohnbar werden, überhaupt erst wieder renoviert werden können. Da müssen aus dem Messie-Haushalt eines ehemaligen Unternehmers 30 Kubikmeter Müll in Container geschafft werden. Zum Vergleich: In den am häufigsten eingesetzten Containern, die man auf kleinen Baustellen sieht, sind zwei bis drei Kubikmeter Platz. „Der Bewohner hatte sich seit sieben Jahren nicht mehr gewaschen, weil alles zugestellt war“, erinnert sich Kujawa, „seine neue Wohnung habe ich ein halbes Jahr später ausgeräumt, weil sie schon wieder zugemüllt war.“

Da tropft Verwesungswasser aus einer Badewanne in einem Mehrfamilienhaus in eine darunterliegende Wohnung, Fliesen müssen abgeschlagen, Holzbodenkonstruktionen entfernt werden. „Desinfektion hört nicht da auf, wo harter Boden beginnt. Und mit der Desinfektion geht auch der Geruch nicht weg“, betont Kujawa. Dann muss ein Ozongenerator her, der die Geruchsmoleküle in normalen Sauerstoff umwandelt.

Um der Maden, Fliegen, Wanzen, Flöhe oder Läuse Herr zu werden, muss sich der Experte an die Vorgaben des Bundesseuchenschutzgesetzes halten. Für die sogenannten Begasungen muss der ganze Wohnbereich abgedichtet werden. Kujawa braucht seinen Chef als zweiten Mann, damit der vor der Tür kontrolliert, dass der 56-Jährige nach dem Einsatz von Formaldehyd auch wieder herauskommt.

Franzen (ebenfalls 56) sei aber auch in einer ganz anderen Hinsicht sehr wichtig für ihn: als Gesprächspartner, wenn er „das Erlebte kanalisieren muss“, sagt Kujawa. Immer könne man damit nicht alleine klarkommen. Und seine Familie wolle er damit auf keinen Fall behelligen, sagt der zweifache Vater.