Erste Schritte zur Inklusion
Die Tönisvorster Sekundarschule und das Michael-Ende-Gymnasium sind gerade zu Orten des Gemeinsamen Lernens bestimmt worden. Sie sollen ab Sommer Förderschüler in ihren fünften Jahrgängen aufnehmen.
Willich/Tönisvorst. Das Thema „Inklusion“ hat die Theorie von Gesetzesvorlagen längst verlassen und ist auf dem Weg zur praktischen Umsetzung an vielen Schulen. Nach zwei Tönisvorster Grundschulen sind nun auch die städtische Sekundarschule und das Michael-Ende-Gymnasium zu Orten „Gemeinsamen Lernens“ ernannt worden.
Kinder, die wegen eines bestimmten Förderbedarfs bisher an einer der Förderschulen im Kreis Viersen angemeldet worden wären, können nun auch in den Regelschulen am Wohnort eingeschult werden — wenn ihre Eltern dies wünschen und so entscheiden. Zum Stand der Inklusion in Tönisvorst ein Überblick:
Gesetz Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben nun per Gesetz ein Recht darauf, mit Schülern ohne Förderbedarf an einer Regelschule unterrichtet zu werden (9. Schulrechtsänderungsgesetz). Es geht zurück auf die Behindertenrechtskonvention der Vereinen Nationen, das Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderungen in einem inklusiven Bildungssystem auf allen Ebenen zu realisieren. Eltern haben also jetzt ein Wahlrecht. Sie können ihre Kinder an einer Regel- oder an einer Förderschule anmelden.
Umsetzung Wird ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung bei einem Kind festgestellt, ist die Schulaufsicht verpflichtet, den Eltern, mit Zustimmung des Schulträgers (Stadt Tönisvorst), mindestens eine allgemeine Schule vorzuschlagen, an der ein geeignetes Angebot des Gemeinsamen Lernens eingerichtet ist.
Vor Ort In Tönisvorst sind für Schüler der Primarstufe die Gemeinschaftsgrundschule Corneliusstraße und Hülser Straße zu Orten „Gemeinsamen Lernens“ bestimmt worden. Der Schulausschuss hat ebenfalls dem Antrag der Schulaufsicht zugestimmt, an der Sekundarschule Tönisvorst und am Michael-Ende-Gymnasium Gemeinsames Lernen einzurichten.
Schuljahr 2014/15 Eltern von elf Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Schwerpunkt Lernen, emotional-soziale Förderung und Sprache) könnten zum nächsten Schuljahr in Tönisvorst von dem Recht Gebrauch machen, ihr Kind in der Jahrgangsstufe 5 an der Sekundarschule oder am Gymnasium anzumelden. Nach Beratungsgesprächen in den Grundschulen möchte die große Mehrheit der Eltern ihre Kinder, die zurzeit an Tönisvorster Grundschulen lernen, weiter im Ort zur Schule gehen lassen.
Als Förderschulen kämen für die Jungen und Mädchen alternativ u.a. die Pestalozzischule in Willich (Schwerpunkt Lernen) und eine Schule mit dem Schwerpunkt Sprache in Düsseldorf in Frage. Die Bescheide, an welcher Regelschule ein Kinder eine Aufnahme-Garantie bekommt, sind gerade von der Schulaufsicht verschickt worden.
Plätze Die zuständigen Dezernenten der Bezirksregierung haben für die Sekundarschule Tönisvorst im nächsten Schuljahr acht Plätze für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf festgelegt, für das Michael-Ende-Gymnasium vier Plätze. Die Sekundarschule wäre — nach Auswertung des Elternwillens — aber deutlich überbucht.
Schulrat Martin König hat vorgeschlagen, die Kinder, die „zieldifferent“ unterrichtet werden (d.h. die nicht in der Lage sind, die in den Lehrplänen formulierten Ziele und Abschlüsse zu erreichen) am Michael-Ende-Gymnasium beschulen zu lassen. Bei einer Gruppe mit vier, fünf Schülern könnte eine halbe Förderlehrer-Stelle eingerichtet werden, so König. Das Personal zum Auf- und Ausbau des Gemeinsamen Lernens teilt das Schulamt des Kreises zu.
Inklusion Sowohl Sekundarschule als auch Michael-Ende-Gymnasium haben ihren Willen zur Inklusion bekundet. Christine Lohmann, Leiterin der Sekundarschule, machte aber im Schulausschuss deutlich, dass ihre Schule, zumal in ihrer Aufbauphase, die Inklusion nicht alleine schultern könne.
Paul Birnbrich, ihr Kollege am Michael-Ende-Gymnasium, betonte eine notwendige personelle Unterstützung durch Sonderschullehrer im inklusiven Unterricht. Er schlug außerdem vor, vor den Anmeldeterminen (ab 17. Februar) noch einmal Gespräche zu führen — in einem Gremium aus Vertretern der abgebenden Schulen, der aufnehmenden Schulen, der Eltern und Schulaufsicht. In dieser Runde sollten alle Fakten ausgelotet und die Eltern jedes Kindes beraten werden. Der Schulausschuss hat eine solche Runde mehrheitlich befürwortet und der Beschlussempfehlung zum „Gemeinsamen Lernen“ als Bitte an die Bezirksregierung beigefügt.
Bedenken Zweifel an der Machbarkeit der Integration von geistig- und körperbehinderten, lernbehinderten oder emotional-sozial auffälligen Kindern in der Regelschule entgegnete Claudia Nübel, Regierungsdezernentin, im Schulausschuss: Sie verwies auf gute Erfahrungen und meinte, dass beispielsweise auch Kinder mit einer geistigen Behinderung „am Sport und Kinderunterricht teilnehmen können“.
Finanzierung Der Schul- und Kulturausschuss hat empfohlen, 5000 Euro für die Einrichtung eines Differenzierungsraumes als notwendige Haushaltsmittel für das Gemeinsame Lernen am Schulzentrum einzusetzen. Bürgermeister Goßen kritisierte in der Sitzung, dass das Land der Inklusion den roten Teppich ausrolle, aber die Finanzierung nicht klar sei. „Wir wissen nicht, was am Ende für uns als Kommune an Belastungen zukommt.“