Gelebte Ökumene Die Kirchen rücken zusammen
Tönisvorst · Die Katholiken in St. Tönis bieten den evangelischen Christen für den ersten Weihnachtstag ihr großes Gotteshaus an.
. Abstand, Abstand, Abstand! Das gebetsmühlenartige Warnen vor zu viel Nähe von Mensch zu Mensch ist das Corona-Gebot der Stunde. Auch die Kirchengemeinden in Vorst und St. Tönis halten sich daran. Und geben jetzt trotzdem sehr bewusst ein Zeichen der Nähe: Die Kirchen rücken zusammen.
Propst Thomas Eicker, Pastor und Leiter der Gemeinschaft der Gemeinden (GdG) Kempen/Tönisvorst hat Pfarrerin Daniela Büscher-Bruch und ihr Team in der evangelischen Kirchengemeinde St. Tönis angerufen und ihr als Gastgeber die katholische Pfarrkirche St. Cornelius für einen evangelischen Gottesdienst am ersten Weihnachtsfeiertag angeboten. Eicker: „Unsere Kirchen sind groß, wir haben Platz.“
„Ein tolles Angebot“, schwämt Büscher-Bruch. „Wir nehmen das gerne wahr. Ein schönes Zeichen in dieser Zeit.“
Rechnen wir die Größe der Gastgeberbereitschaft einmal für die evangelischen Christen durch: In ihre Christuskirche an der Hülser Straße passen seit März sonntags nur noch 30 Personen, statt deutlich über 200. Nur dann sind die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. 30 Personen in einem Gottesdienst zu Weihnachten? Undenkbar.
Platz für 86 Sitzorte in der Pfarrkirche St. Cornelius
In der geräumigen katholischen Pfarrkirche St. Cornelius können, wie Eicker erzählt, „86 Sitzorte geschaffen werden“. Einzel-, Doppel- und Familiensitzorte im Kirchenraum, so dass zurzeit bis zu 250 Personen in dem Gotteshaus an Messen teilnehmen können. Diese Möglichkeit der Platzaufstockung nimmt Daniela Büscher-Bruch für den ersten Weihnachtstag gerne an.
Ihre Gemeinde plant zurzeit für Heiligabend Gottesdienste draußen, angelegt an eine Art Stationenlauf. Eine bewegte und bewegende Weihnachtsgeschichte nach Lukas. „Das wird Senioren vielleicht zu unbequem. Deshalb freue ich mich, ihnen nun diesen Gottesdiensttermin anbieten zu können.“
Und es bleibt nicht die einzige Begegnung von Kirchen-Gastgeber und Gast über die regelmäßigen ökumenischen Dienstgespräche in Tönisvorst hinaus. Denn am Silvestertag soll es einen ökumenischen Gottesdienst in St. Cornelius geben – „der gemeinsame Ausklang eines sehr beschwerlichen Jahres, unter dem auch die Gemeinden gelitten haben und mit denen man nun etwas Neues angehen kann“, so Büscher-Bruch.
Corona hat alles verändert, stellt alles auf den Prüfstand. Das Virus fordert vom Kirchenpersonal noch mehr Kreativität. Es schafft aber auch bei aller Anstrengung an der Konzeptarbeit, die viel zu oft auch wieder über den Haufen geworfen werden musste, intensive Erlebnisse.
Eicker beispielsweise hat die Feiern für Kommunionkinder in St. Tönis und Vorst intensiver empfunden als in den 31 Jahren zuvor. Die Resonanz auf die Grundbotschaft „Ich bin bei Dir“ sei von den Feiernden deutlich vernehmbarer gewesen.
Kirchenraum als Glaubensraum und Lebensort erfahren
Die Gemeindereferentinnen Stefanie Müller und Regina Gorgs erzählen von ähnlichen Erfahrungen. In den Stunden, in denen die Kirchen geöffnet sind, erleben sie seelsorgerische Gespräche. Gorgs: „Dass die Gespräche im Glauben so in die Tiefe gingen, war toll.“ Auch die Firmvorbereitung im Kirchenraum hätte durch die Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit erfahren. Müller: „Sie haben den Kirchenraum als Glaubensraum und Lebensort erfahren.“
Martin Gohlke, evangelischer Pfarrer in Vorst und Anrath, hatte 2020 keine einzige Hochzeit. „Alles wurde auf 2021 verschoben. Da habe ich einen richtig großen
Berg.“
Christian Dierlich, Pfarrer in der evangelischen Gemeinde in St. Tönis, hat durch Corona und die Zwänge der Pandemie erlebt, dass man sich „als Kirche viel mehr miteinander verbunden fühlt. Inner-evangelisch, aber auch in der Ökumene. Das entfaltet neue Kraft.“ Nähe – durch Abstand von Routine.