Rettungswache Kreis Viersen: Gutachter wird „gegrillt“

Mehr als drei Stunden zerpflückt der Willicher Stadtrat die Vorstellungen des Kreises Viersen zur Neuordnung des Rettungswesens. Zweifel können nicht ausgeräumt werden.

Foto: Friedhelm Reimann

Willich. Holger Behrendt dürfte sicher schon angenehmere Abende gehabt haben. Mehr als drei Stunden „grillten“ ihn die Mitglieder des Willicher Stadtrates am Mittwoch in der Schiefbahner Kulturhalle. Dort sollte der Gutachter zur rettungsdienstlichen Bedarfsplanung im Kreis Viersen Fragen beantworten — doch zufrieden waren die Politiker mit dem, was ihnen der Mann zu sagen hatte, ganz und gar nicht. „Ich bin nicht schlauer als vorher“, fasste es Hans-Joachim Donath (FDP) am Ende resignierend zusammen. Und auch sein CDU-Kollege Johannes Bäumges erklärte, es sei enttäuschend, wie man mit den Willicher Anliegen umgehen wolle.

Vereinfacht gesagt, steht in dem Gutachten, dass die vorgeschriebenen Hilfsfristen im Kreis Viersen nicht überall eingehalten werden — insbesondere in St. Tönis und Dülken. Dort braucht der Rettungswagen zu lange, um zum Patienten zu kommen — was Menschenleben kosten kann. Der Kreis Viersen als Träger des Rettungsdienstes schlägt aufgrund dieser Erkenntnis — die bei Insidern allerdings keine Überraschung war — erhebliche Veränderungen vor. Auf die Stadt Willich bezogen bedeutet dies: In Tönisvorst soll eine neue Rettungswache entstehen und im Gegenzug die erst 2017 in Anrath eröffnete Wache geschlossen werden.

So zumindest hatte es der Ordnungsdezernent des Kreises Viersen, Thomas Heil, im März mit Verweis auf das Gutachten vor der Presse erläutert. Im Willicher Stadtrat erklärte er jetzt etwas anderes: „Wir haben nicht vor, die Wache zu schließen.“ Die Kreisverwaltung mache sich Gedanken darüber, wie man das neue Gebäude, das nach Abstimmung mit dem Kreis Viersen und den Krankenkassen errichtet worden war, weiter nutzen könne. In der Überlegung sei es, dort ein Mehrzweckfahrzeug unterzubringen, das als Kranken- und als Rettungstransportwagen dienen könne.

Dies konnte die aufgebrachte Willicher Seite nicht beruhigen. Bernd-Dieter Röhrscheid (SPD) beklagte das „miserable Kreis-Management“. Detlef Nicola (Für Willich) bezweifelte, dass die Schließung nicht schon längst beschlossene Sache sei. Und Hagen Becker (Bündnis 90/Die Grünen) sprach in einem sehr langen, emotionalen Beitrag sogar von dem ersten Toten, für den sich dann der Gutachter strafrechtlich zu verantworten habe.

„Wir möchten für unsere Bürger die beste Versorgung sicherstellen“, betonte Franz Auling (CDU) — sollte der Vorschlag des Kreises aber umgesetzt werden, passiert das Gegenteil: Innerhalb von vier Minuten ist der Rettungswagen bisher in Anrath am Einsatzort, kommt er aus Richtung Vorst, dürfen es nach den gesetzlichen Vorgaben bis zu zwölf Minuten sein.

Und selbst das ist nach der Erkenntnis von insgesamt 22 Testfahrten, die Willichs Feuerwehrchef Thomas Metzer unter anderem von der Gerkeswiese in Vorst aus vorgenommen hat, nicht immer zu schaffen. Der Gutachter habe die häufigen Staus auf der L 379 zwischen St. Tönis und Anrath nicht beachtet, mutmaßt Metzer in einem von der Stadt verteilten Papier. Zudem habe er zwei Testfahrten unter Einsatzbedingungen unterbrechen müssen, da die Bahnschranken in Anrath geschlossen waren.

Der Gutachter indes widersprach immer und immer wieder Vorwürfen, er habe dieses oder jenes nicht beachtet und verteidigte seine Methodik. Die zugrunde liegenden Datensätze seien mit dem Kreis und der Kreisleitstelle abgesprochen gewesen, die eintägige Testfahrt hätten ortskundige Fahrer vorgenommen. Als sich allerdings herausstellte, dass diese aus Schwalmtal kamen, gab es lautstarkes Gelächter der Ratsmitglieder und aus dem Publikum. Dort saßen mehr als 25 Angehörige der Willicher Rettungswachen, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen und auch selbst Fragen stellten durften.

Könnte das von Thomas Heil angesprochene Mehrzweckfahrzeug auch in Tönisvorst stehen? Holger Behrendt widersprach. Könnten die Rettungsfahrten in St. Tönis nicht auch über eine Wache in Krefeld organisiert werden? Holger Behrendt widersprach. Könnte der am Krankenhaus in St. Tönis platzierte Notarzt die Rettungszeiten im Ort sicherstellen? Holger Behrendt widersprach. Hat er es im Gutachten unterlassen, die Einsätze der Willicher Rettungsfahrzeuge auf den Autobahnen zu berücksichtigen? Holger Behrendt widersprach — räumte allerdings ein, dass die entsprechende Grafik im vorliegenden Papier vergessen wurde. Und auch zur Ratssitzung in der Kulturhalle hatte er sie nicht mitgebracht — was bei Politik und Verwaltung der Stadt Willich nicht besonders gut ankam.

Anders als Thomas Heil, der sich gegen den kürzlich von Kämmerer Willy Kerbusch geäußerten Vorwurf der „Flegelei“ wehrte, sah es die gut vorbereitete Willicher Rettungsdezernentin Brigitte Schwerdtfeger als sinnvoll an, dass sich die Träger aller Rettungswachen mit der Kreisverwaltung gemeinsam an einen Tisch setzen. Laut Heil sind bisher im August drei getrennte Termine vorgesehen. Danach soll der zuständige Fachausschuss des Kreises Viersen tagen. „Wir wollen die Städte nicht gegeneinander ausspielen“, versicherte der Kreisdezernent: „Ich hoffe auf eine einvernehmliche Lösung.“ Ob es dazu kommt, daran hatte nach dem Verlauf dieser Ratssitzung nicht nur Uwe Rieder (CDU) erhebliche Zweifel.