Schicksal: Die Flucht aus Ägypten
Eine junge christliche Familie ist nach Willich geflohen. Weihnachten wird bei ihnen diesmal kaum gefeiert.
Willich. Ihre Namen wollen Sie nicht nennen. Ihre Gesichter sollen auf Fotos nicht zu sehen sein. Zu groß ist die Angst der jungen ägyptischen Eheleute, dass ihre Verfolger sie auch in Deutschland aufspüren könnten. In ihrer Heimat mussten die koptischen Christen jeden Tag um ihr Leben und das ihrer Söhne (drei und acht Jahre alt) fürchten. Seit Januar leben sie nun als Flüchtlinge in Willich — doch die Angst haben sie mitgebracht.
„Die Muslime in Ägypten lernen schon als Kind, uns Christen zu hassen“, sagt die junge Frau, die in der Nähe von Kairo als Lehrerin gearbeitet hat. Unter Mubarak sei es schon schlimm gewesen, doch seit dessen Sturz habe sich die Situation durch die Muslim-Bruderschaft dramatisch verschlechtert. Denn von der Regierung werde man nicht mehr vor den Fanatikern beschützt.
Und dann erzählen sie davon, dass in ihrer Heimat fast jeden Tag eine koptische Christin von Radikalen verschleppt werde. Sie erzählen von Menschen, die auf der Straße abgeschlachtet wurden und davon, dass in nur einer Woche 70 Kirchen gebrannt hätten. Und zum koptisch-orthodoxen Weihnachtsfest Anfang Januar sei man mit Bomben und Schüssen „beschenkt“ worden.
Die Jagd auf die Christen hat die Lehrerin bis in die eigene Schule erlebt. „Ich wurde von Schülern mit Glas und Flaschen beworfen. Und als ich mich beim Schulleiter beschwerte, hat der nur mit den Schultern gezuckt. Es gab noch nicht einmal eine Anzeige gegen die Täter.“
Die meisten Kopten seien gebildet und hätten gut bezahlte Berufe. Auch das rufe bei vielen in Ägypten Neid hervor. So sei einer Kollegin der Lehrerin vorgeworfen worden, im Unterricht den muslimischen Glauben verunglimpft zu haben. „Ihr Vermögen wurde daraufhin eingezogen, sie selbst ins Gefängnis geworfen.“
Die Kopten verstehen sich als Ur-Ägypter: Sie waren schon im Land, bevor es Muslime gab. Sie sind die Einzigen, die die ägyptische Sprache verwenden, denn die offizielle Amtssprache ist Arabisch. Und sie sind stolz auf ihre christlichen Wurzeln: Mit dem tätowierten Kreuz auf dem Handgelenk zeigen sie diesen Glauben nach außen.
So auch das junge Ehepaar, das sich in Willich in einer Asylbewerber-Unterkunft eine Wohnung mit einer alleinstehenden Mutter und zwei weiteren Frauen teilt. Die Verständigung untereinander ist schwierig, denn die Frauen kommen aus Sri Lanka, China und Angola.
Als religiös verfolgt ist die vierköpfige ägyptische Familie in Deutschland bereits anerkannt worden. Daher dürfen sie die Unterkunft in Willich bald verlassen. „Wir suchen im Moment eine Wohnung im Raum Düsseldorf“, erzählt die Frau. Dort befindet sich die einzige koptische Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Regelmäßig fahren sie zum Gottesdienst und zum Treffen mit anderen vertriebenen Ägyptern dorthin. Was allerdings mit Bussen und Bahnen jedes Mal einer ziemlichen Himmelfahrt gleichkommt. „Um in Willich bleiben zu können, bräuchten wir ein Auto.“ Da man sich das nicht leisten könne, bleibe nur der Umzug.
Große Zukunftspläne hat das Ehepaar nicht gemacht. Nach der Anerkennung als Flüchtling dürfe man nun einen Deutschkurs machen — endlich. Und was ist mit Weihnachten? Werden sie das Fest feiern? „Wir gehen zur Kirche. Mehr nicht.“