Straßenschild enthüllt: Innige Erinnerung an Familie Lion

Ein Straßenschild wurde in Wekeln enthüllt. Es ist der jüdischen Familie gewidmet. Nachkommen reisten von weit an.

Willich. Bewegende Worte und Bilder nehme ich von einer Feierstunde in Wekeln mit. Bürgermeister Josef Heyes, Bernd-Dieter Röhrscheid und Stadtarchivar Udo Holzenthal haben dort am Freitag im Beisein von 150 Gästen ein Straßenschild enthüllt. Es erinnert an die jüdische Familie Lion, an Männer und Frauen, die vor Jahrhunderten und Jahrzehnten Willicher Bürger waren.

Foto: Kurt Lübke

Sie waren es, bis Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung durch Nationalsozialisten im allumfassenden System und in der nächsten Nachbarschaft sie aus der Heimatstadt vertrieben — aus Angst um das eigene Leben und das der Angehörigen. Einige packten die Koffer, flohen 1938 ins Ausland. Andere blieben. Sie wurden deportiert und starben in Theresienstadt und bei Riga.

Ich nehme das Bild mit, als sich das Tuch, das das Straßenschild verhüllte, mit einem Windzug vorzeitig löst und den Namen freigibt, genau zu dem Zeitpunkt, als Diakon Friedhelm Messerschmidt aus dem Pastoralteam der GdG Willich eindringlich appelliert, dass sich das Unrecht, das nicht nur Familie Lion widerfahren ist, nicht wiederholen dürfe. Erinnerung, Mahnung und symbolische Befreiung zugleich. Das war ein Gänsehautmoment in der warmen Vormittagssonne.

Der gelingt auch Pfarrer Rolf Klein. Er hat sich als Jugendlicher ob der vergangenen Gräueltaten als Deutscher schuldig gefühlt. Eine Zufallsbekanntschaft in Israel hat ihn fürs Leben geprägt. Von diesem Mann nahm er die Lebensaufgabe mit, sich immer verantwortlich dafür zu fühlen, dass die Verbrechen nicht vergessen werden, sich nicht wiederholen. „Wir in Willich fühlen uns verantwortlich“, gibt er den angereisten Familienangehörigen der Lions aus allen Teilen der Welt ein Versprechen. Und den Willichern zugleich den Auftrag.

Ergreifend, als sich Alan Lion, Sohn von Ernst Max, das Mikrofon nimmt und betont, wie „very special“ dieser Tag für alle sei. Für seinen Vater sei die Verbindung zur Familie und zu Willich stets wichtig gewesen. Beides bedeutete Familie. Alan, der heute in London lebt, fühlt sich in der Feierstunde als Teil der Willicher. Das sei für ihn ein großes, bewegendes Ereignis.

Peter Lion, der aus Australien angereist ist, vergleicht die Zeit des Nationalsozialismus mit einem Hurrikan, der die gesamte Familie in alle Himmelsrichtungen verstreut habe. Dass dieser Anlass der Straßenschildenthüllung Familienmitglieder der Ur- und Ur-Ur-Enkel-Generation der zwei Lion-Zweige zum ersten mal zusammenführt, rührt nicht wenige zu Tränen.

Ich denke an Lian Lion, die spontan das Wort ergreift, damit auch eine Frau zu hören ist. Ihre Mutter Else, sagt sie, wäre so froh. Sie hatte Willich mit 20 Richtung England verlassen müssen. Ihr Herz aber blieb, so die Tochter, auch bei den Jugendjahren in Willich.

Bewegend die Worte von Ben Lion. Er ist der Ur-Urenkel von Abraham Lion. Der junge Mann aus Iowa ist wie sein Vorfahr in der Feuerwehr engagiert. Die Willicher Wehr hat ihm am Vortag mit einer Sicht vom Leiterwagen über Willich Unvergessliches bereitet. Für ihn, sagt Ben, sei Willich bis Mittwoch nur ein Stadtname gewesen. Nun spürt er, wie tief an diesem Ort die Familiengeschichte verwurzelt sei.

Als ergreifend hat Susanne Becker die Feierstunde empfunden. Seit 2017 wohnt sie mit ihrem Mann Marco Susani im Neubaugebiet. Die Einladung der Stadt an die Nachbarn zu dieser Feier hat ihr Interesse geweckt. Als alle Reden gehalten sind, steht sie sichtlich gerührt am Rande. „So emotional hatte ich es nicht erwartet“, sagt sie. Auch ihren Blick nehme ich mit. Von diesem bewegenden Treffen.