Tour durch die Innenstadt Willicher Innenstadt ganz neu erfahren

Willich · Die Erfahrung, wie es ist, blind zu sein, machte Christian Pakusch. Der Willicher Bürgermeister setzte die Simulationsmaske auf und ging mit blinden Menschen und dem Behindertenbeauftragten durch die Innenstadt.

Die Noppenmarkierung am Ende der Peterstraße zeigt Blinden an, dass sie stoppen müssen, weil es gefährlich werden könnte.

Foto: Bianca Treffer

„Schauen Sie sich noch mal um, gleich wird es dunkel“, sagt Helmut Pastors und reicht Christian Pakusch die Simulationsmaske. Sekunden später versinkt die Welt des Willicher Bürgermeisters in Schwärze. Er hat die Maske über die Augen gezogen. „Das ist richtig dunkel. Ich kann wirklich gar nichts mehr sehen“, sagt Pakusch, der unsicher vom Stuhl aufsteht, auf dem er bislang im kleinen Cafébereich von Schreibwaren Erren gesessen hat. Hans Lehmann, der ehrenamtliche Behindertenbeauftrage der Stadt Willich, hilft dabei, die gelbe Armbinde mit den drei schwarzen Punkten umzulegen: das Symbol, das anderen Menschen zeigt, dass dort ein Blinder oder ein Mensch mit einer starken Sehbehinderung unterwegs ist. Pakusch soll erleben, wie es ist, als blinder Mensch durch Willich zu gehen.

Lehmann reicht den Langstock, an dessen Ende sich eine Kugel befindet. „Den Stock in die rechte Hand oder als Linkshänder in die linke Hand nehmen und immer schön pendeln. Dazu kleine Schritte machen“, gibt Pastors vor. Der blinde Willicher von der Blindenhilfe hat sich neben Pakusch gestellt, der sichtlich verunsichert die ersten Schritte macht. Pastors bietet seinen Ellenbogen als Hilfe an. Normalerweise führt ein Sehender einen blinden Menschen, indem der Blinde seine Hand unter den Ellenbogen eines Sehenden legt. So bekommt er jede Richtungsänderung mit, ohne dass jemand an ihm herumzerrt.

Die beiden bewegen sich, begleitet von Lehmann, der ebenfalls erblindeten Theologia Heenen und Inge Kox vom Sozialverband VdK-Kreisverband Viersen, über den Marktplatz in Richtung Peterstraße. Der Ruf „Vorsicht, Auto!“ von Lehmann und Kox lässt die drei blinden Menschen erschrocken stehen bleiben. Die Durchfahrt über die Peterstraße in Richtung Markt ist zwar verboten, aber das stört die Fahrerin nicht. Auch die Armbinden, die die drei Blinden kennzeichnen, scheinen sie nicht zu beeindrucken. Das Klackern der drei Langstöcke ist zu hören. Pakusch ist auf das erste Hindernis gestoßen. „Was könnte das sein?“, fragt Pastors, der die Strecke an der Peterstraße gut kennt und weiß, dass die beiden gerade vor einer Laterne stehen. Pakusch klopft das Objekt mit dem Stock ab und erkennt ebenfalls eine Laterne.

Meter für Meter geht es langsam die Peterstraße entlang Richtung Brauereistraße. Pastors erklärt, dass Blinde, wenn es kein Leitsystem gibt – wie es an der Peterstraße der Fall ist – stets im Abstand von rund einem Meter entlang der Häuser gehen, um eine Anlehnung der Richtung zu haben. „Bestuhlung auf den Straßen, Blumenkübel, Werbeaufsteller und dergleichen machen uns den Weg dabei schwer“, so
Pastors.

An der Ecke Brauereistraße führt eine Noppenlinie über die Straße

Dass dies so ist, kann Pakusch direkt feststellen: Der erste Blumenkübel sowie ein Sonnenschirm, stabilisiert mit dicken Steinplatten, tauchen auf. Es gilt, alles mit dem Stock abzutasten, um die Art des Hindernisses festzustellen und eine Entscheidung zu treffen, wie es in einem ausreichenden Abstand umgangen werden kann.

Bei einem großen Werbeaufsteller tastet der Bürgermeister diesen nicht nur mit dem Stock ab, sondern zusätzlich auch mit der Hand. „Ich habe das zunächst für eine Mülltonne gehalten“, bemerkt er. Gullydeckel, Gitter von Kellerschächten – alles erhält ein neue Dimension. An der Ecke zur Brauereistraße führt eine Noppenlinie über die Straße. Das Zeichen für Blinde, dass es zu halten gilt, weil eine Gefahr vorliegt. In diesem Fall ist es die Kreuzung der stark befahrenen Brauereistraße. Eine weitere Querungshilfe für Menschen, die nicht sehen können, gibt es aber nicht. „Daher wünschen wir uns für diesen Bereich ein Blindenleitsystem. Das würde uns ein Stück mehr Sicherheit geben“, sagt Heenen.

Es geht zurück zum Markt. Heenen und Pastors verweisen Pakusch auf die Rinne, die fast mittig auf der Peterstraße verläuft. „An dieser Rinne können wir uns ein stückweit orientieren. Wir wissen, dass sie zum Marktplatz führt“, sagt Pastors. Pakusch klappert mit dem Langstock entlang der Rinne, die er ebenfalls als eine wirkliche Hilfe zur Orientierung empfindet.

Wieder beim Ausgangspunkt Erren angekommen, ist er sichtlich froh, die Simulationsmaske von den Augen zu nehmen. „Ich habe nicht gewusst, wo ich bin. Ein beklemmendes Gefühl. Das ist wirklich eine andere Welt. Es ist eine ganz andere Wahrnehmung“, sagt Pakusch ernst. Er kann den Wunsch der Blinden nach einem taktilen Leitsystem in diesem Bereich von Willich voll und ganz nachvollziehen. „Ich werde das Thema mitnehmen, und wir werden schauen, was wir machen können. Vielleicht können Fördermittel in Anspruch genommen werden“, sagt der Bürgermeister, der in diesem Zusammenhang noch einmal seinem Unmut darüber Luft macht, dass ein solches Leitsystem bei der Umgestaltung des Marktplatzes nicht direkt eingebaut
wurde.

Allein das Nachrüsten am Wasserspiel, das eine Noppeneinfassung erhalten hat, um die Blinden auf die Anlage aufmerksam zu machen, verursachte Kosten in Höhe von 40.000 Euro.