Willich/Tönisvorst: Sorgen um den Öko-Strom
Nachgehakt: Die Verschiebung des Atomausstiegs wird auch vor Ort heftig kritisiert.
Willich/Tönisvorst. Der von der schwarz-gelben Koalition verschobene Atomausstieg hat direkte Auswirkungen auf die Region. Vertreter der Ökostrom-Branche befürchten, dass nun deutlich weniger in erneuerbare Energien investiert wird. Für die nächsten zwei Jahrzehnte sei wegen der Laufzeitverlängerung ein Überangebot an Strom im Netz - der Druck zu investieren sei geschrumpft.
"Durch die Laufzeitverlängerung wird der Wettbewerb unter den Stromanbietern gestoppt", sagt Fred Heyer, Geschäftsführer von ReEnergie in Nettetal. Das Unternehmen verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, die Region Niederrhein bis 2030 weitgehend aus erneuerbaren Energien mit Strom und Wärme zu versorgen. "Die Stadtwerke haben viel Geld in die Hand genommen und in diese Technologien investiert", sagt er. "Und jetzt wissen sie nicht, wie es weitergeht."
Da die Kommunen Ansprechpartner seiner Firma seien, wisse er nicht, was die Zukunft bringe. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Atomkraftwerken sei zwar gering. Aber ob sich dies im Handeln der Stadtwerke beweise, wisse niemand. "Momentan folge ich dem Prinzip Hoffnung, dass es keinen Rückzug aus den Erneuerbaren gibt."
Stadtwerke, die in umweltfreundliche Energien investiert haben, befürchten nicht nur finanzielle Verluste. Sie kritisieren auch, dass es keine Planungssicherheit gebe. "In Deutschland herrscht in Sachen Energiepolitik das Klima, dass nichts auf Dauer gilt", sagt Frank Kindervatter, Geschäftsführer der Niederrheinwerke, zu denen die Stadtwerke Tönisvorst gehören. "Die Grundlage für Investitionen in regenerative Energien war der Atomausstieg. Diese Grundlage wurde entwertet." Für viele Stadtwerke sei unklar, woran sie ihre Unternehmenspolitik ausrichten sollen: "Kann ja sein, dass bei einem Regierungswechsel wieder alles rückgängig gemacht wird."
Allerdings haben die Niederrheinwerke nicht im großen Stil investiert. "Wir sind nur an einem Braunkohle-Kraftwerk beteiligt", sagt Kindervatter. Wie hoch die Marktbelastung durch die Laufzeitverlängerung auch für die Niederrheinwerke ausfalle, müsse sich noch zeigen.
Inwieweit die Stadtwerke Willich betroffen sind, konnte am Mittwoch nicht geklärt werden, da kein Ansprechpartner zur Verfügung stand.
Klar ist: Auch die Gemeinden sind besorgt um ihre Finanzen, da die geplante Brennelementesteuer ihre Einnahmen mindern wird. "Das ist eine Steuer, die direkt an den Bund geht", sagt Willy Kerbusch, Kämmerer der Stadt Willich. "Die Betreiber von Atomkraftwerken werden sie als Geschäftsaufwand absetzen und so ihren Gewinn mindern." Dadurch würden sie am Ende weniger Körperschaftsteuer zahlen, die sich Bund, Länder und Gemeinden teilen. "Der Bund schafft sich so eine Finanzquelle zu Lasten der Kommunen", sagt Kerbusch. "Das ist vielen noch gar nicht klar."
Auch für die Verbraucher könnte sich die Brennelementesteuer nachteilig auswirken. "Für energiepolitische Fehlentscheidungen haben noch immer die Kunden bezahlt", sagt Kindervatter. "Würde mich wundern, wenn es diesmal anders wäre." Die Mehrkosten, die ihnen durch die Steuer entstehen, würden die Unternehmen wohl nach unten durchreichen.
Auch aus energiepolitischer Sicht sei das aktuelle Signal falsch, sagt Willy Kerbusch: "Wenn man den Druck aus dem Kessel nimmt, wird weniger geheizt." Anders ausgedrückt: Wo keine Anreize für Investitionen geschaffen werden, wird nicht investiert. "Das blockiert Innovationen und die stetige Verbesserung der Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien."
Besonders ärgerlich sei, dass der Kompromiss der Vorgängerregierung ja auch mit der Atomindustrie ausgehandelt worden sei. Jetzt werde die Uhr zurückgedreht. "Wenn aber die Verlässlichkeit des Staates infrage steht, verlieren wir ein wichtiges Gut."