Erdogan-Besuch Sie gibt den Verfolgten in der Türkei eine Stimme

Düsseldorf · Mesale Tolu hat den Unterdrückungsapparat selbst kennengelernt – und erträgt es nicht, dass der Verantwortliche jetzt geehrt wird

Seit einem Monat ist die deutsche Journalistin Mesale Tolu wieder zu Hause – nach anderthalb Jahren Haft und Ausreiseverbot in der Türkei.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Das Foto zeigt sie von hinten, die linke Hand an einem Rollkoffer, an dem sich auch ihr dreijähriger Sohn Serkan festhält. Dazu twitterte Mesale Tolu: „Nach 17 Monaten geht es zurück nach Hause.“ Die deutsche Journalistin und Übersetzerin durfte die Türkei wieder verlassen – nach fast acht Monaten Untersuchungshaft, die längste Zeit mit ihrem kleinen Sohn, und anschließender Ausreisesperre.

Einen Monat nach der Rückkehr  der gebürtigen Ulmerin ist jetzt der türkische Staatspräsident  Recep Tayyip Erdogan zu Besuch in Deutschland ­ und die Vermutung liegt nahe, dass das eine mit dem anderen zu tun hat. Die 33-Jährige ist da vorsichtiger: „Ich hatte nie Gespräche auf höherer diplomatischer Ebene.“  Dass ihre Ausreiseerlaubnis kein dauerhafter „Schmeichelkurs“ war, sieht sie belegt in einer Verurteilung und einer weiteren Festnahme deutscher Staatsbürger, die in der Türkei nach ihrer Rückkehr  erfolgt sind.

Was ansichts dieser Gemengelage bei ihr vorherrscht, sind „unangenehme Gefühle“: „Der Verantwortliche für all die Repressalien und all den Druck, den es im Lande gibt, wird hier mit rotem Teppich und Staatsbankett akzeptiert und angenommen.“ Nach ihrer und den anderen erfolgten Freilassungen habe es keinerlei Entwicklung hin zu mehr Demokratie gegeben. Noch immer gebe es Zehntausende zu Unrecht Inhaftierte in der Türkei. „Und ich musste von Deutschland aus zuschauen, wie die Repressionen zugenommen haben.“

Prozess gegen sie und
ihren Ehemann geht weiter

Tolu lebt inzwischen wieder in Neu-Ulm, ihr Sohn besucht den Kindergarten, das Trauma des Gefängnisaufenthalts mache sich bei ihm ab und an noch bemerkbar, sagt sie. Ihr Mann Suat Corlu, türkischer Staatsbürger mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht in Frankreich, darf die Türkei weiter nicht verlassen. Dem Mitarbeiter der linken kurdischen Partei HDP und ihr wird gemeinsam der Prozess gemacht. Nächster Verhandlungstermin ist der 16. Oktober. „Meine Absicht war von Anfang an, daran teilzunehmen.“ Aber noch sind sie und ihre Anwälte nicht sicher, dass sie nicht erneut Gefahr liefe, wieder verhaftet zu werden. Die Entscheidung soll erst in der letzten Woche vor der Verhandlung fallen.

In der Türkei war Tolu für die linke Nachrichtenagentur Etha tätig. Die Anklage gegen sie gründet sich auf Terrorvorwürfen und der angeblichen Unterstützung der verbotenen linksextremen Gruppe MLKP. Es sei Strategie des türkischen Staates, unliebsame Journalisten nicht wegen ihres Berufs anzuklagen, weil sie dann als verfolgte Journalisten geführt würden. Stattdessen werfe man ihnen auf der Basis der weit gefassten Antiterrorgesetze die Beteiligung an staatsfeindlichen Veranstaltungen vor.

Tolu will sich an keinen Demonstrationen gegen den Erdogan-Besuch beteiligen. Aber sie hat Erwartungen an die Gastgeberrolle ihres Heimatlandes. Die Begegnungen von Kanzlerin Merkel und Erdogan hätten bisher immer die Opposition in der Türkei geschwächt. „Dabei braucht eigentlich sie Unterstützung, weil sie die Werte des Westens in der Türkei verteidigt.“ Die Journalistin sagt, sie sei nicht für einen Abbruch des Dialogs, erwarte aber, dass der türkische Präsident von der Bundesregierung auch auf die Menschenrechtsfrage angesprochen werde „und dass sie ihn spüren lassen, dass sie nichts vergessen haben“. Nicht die Vorwürfe der Nazimethoden, nicht die Vorwürfe der Terrorunterstützung.

Zahlreiche Fälle türkischer
Verfolgungswillkür

Neben Tolu sitzt Berivan Aymaz, Landtagsabgeordnete der Grünen. Auch sie will Erdogan keine Bilder gönnen, die als Ehrerbietung missgedeutet werden könnten. Und sie erinnert an die Fälle, die nicht unter den Tisch fallen sollen: die Sängerin Hozan Cane aus Köln, die seit Juni in Untersuchungshaft sitzt; den Kölner Sozialwissenschaftler Adil Demirci, der Mitte April in Istanbul festgenommen wurde; die Menschen, die über das Interpol-Instrument „Red Notice“ weltweit unter Druck gesetzt und oft vorläufig festgenommen werden, weil die Türkei gegen sie Haftbefehl erlassen hat und internationale Hilfe einfordert. Und dann sind da noch diejenigen, über die entweder ein Ausreise- oder auch ein Einreiseverbot verhängt wurde.

Für Aymaz und Tolu ist es angesichts von Erdogans Moschee-Besuch in Köln auch an der Zeit, eine klare Haltung gegen den deutschen Dachverband Ditib und seine antidemokratischen Strukturen zu zeigen. „Strukturen“, so Aymaz, „die dafür genutzt werden, hier die türkische Staatsdoktrin einfließen zu lassen, die auf Militarismus, Nationalismus und Islamismus fußt“. Kooperationen mit der Ditib dürfe es nicht mehr geben – nur noch (wie auch mit Erdogan) „Gespräche auf Arbeitsebene“.