Baustellen Aufgerissen vom Keller bis unters Dach
Schwelm · Mieter in Schwelm sollten neue Bäder bekommen. Jetzt haben sie gar keine Bäder oder Toiletten, dafür Löcher in Boden und Decke. Und das wohl bis Heiligabend.
Wer in Julia Burgardts Wohnung an der Schwelmer Kaiserstraße kommt, der friert. Die Wohnungstür steht die meiste Zeit des Tages offen, die Haustür gleich eine Treppe weiter auch. Vor allem aber sind Böden und Decken ihres früheren Badezimmers vom Keller bis unters Dach geöffnet. Durch Löcher kann sie den Handwerkern in der Etage unter ihrer Wohnung auf die Finger sehen oder die Gespräche ihrer Nachbarn im nächsten Stock belauschen. Bei Burgardt und ihren Nachbarn wird aufwändig saniert und modernisiert. Auf dem jüngsten Schreiben heißt es: vom 19. November bis 24. Dezember. Die 31-jährige Mieterin fragt sich, ob sie den Weihnachtsbaum im Wohnzimmer zwischen den mit Plastikplanen abgedeckten Spielsachen ihres zweijährigen Sohnes und dem Campingklo aufstellen soll.
Im April wurde den Bewohnern erstmals mitgeteilt, dass Bauarbeiten anstehen. Im September. „Ich habe mich gefreut – da hatte ich nämlich Semesterferien“, sagt die junge Frau, die Zahnmedizin in Düsseldorf studiert. Doch nichts passierte. „Die bereits angekündigten Termine verschieben sich leider aus organisatorischen Gründen“, hieß es nun in einem Brief der Hausverwaltung, der die Maßnahme für die Vorweihnachtszeit anmeldete. In den ersten zwei bis fünf Tagen sei das Badezimmer nur eingeschränkt nutzbar, heißt es. „Es wird jedoch sichergestellt, dass jederzeit ein Wasseranschluss vorhanden ist und von abends bis morgens eine funktionierende Toilette in Ihrer Wohnung zur Verfügung steht.“
Julia Burgardt muss lachen, als sie an den Brief denkt. Sie steht vor ihrem komplett entkernten Badezimmer mit den Löchern in Boden und Decke. „Das zieht ohne Ende. Mein kleiner Sohn war zwei Wochen krank.“ Wo ihre Badewanne mal stand, stapeln sich Zementsäcke. Wo die Waschmaschine war, ragt ein silbernes Gerippe aus Rohren aus der Wand.
Statt am 19. November, berichtet die Schwelmerin, standen die ersten Handwerker am 5. November vor der Tür. Eine halbe Stunde räumte man ihrem Mann und ihr dann ein, um die persönlichen Dinge und Möbel aus dem Badezimmer zu holen, noch rasch einen Schwung Wäsche zu waschen und zu duschen. „Dann haben sie sofort alles herausgerissen“, sagt Burgardt. Es war für zwei Wochen keinerlei Wasseranschluss mehr da, die Familie musste Plastikflaschen auffüllen, um mal Geschirr zu waschen. Eine Toilette gibt es bis heute nicht. Zumindest keine richtige. Julia Burgardt hakte nach und bekam das Campingklo fürs Wohnzimmer. Auch der Anblick bringt sie nur noch zum Schmunzeln. Zumindest hat sie noch eines erhalten. Für Sandra Maty, bei der die Arbeiten später anfingen, war wohl keins mehr vorhanden.
Jedenfalls muss die dreifache Mutter nun jede Nacht mit ihren beiden älteren Kindern drei Etagen durchs Treppenhaus nach unten laufen und durch die Kälte, um eine Toilette im Container vor dem Haus aufzusuchen. „Immer ein Kind runter und hoch – dann das nächste“, beschreibt Maty ihre Nächte – morgens die gleiche Prozedur zum Waschen und Zähneputzen. Nur zwei Container für Frauen gibt es; hat eine Bewohnerin geduscht, dauert es, bis der Boiler wieder Wasser erhitzt hat.
Matys zweijähriger Sohn trägt zum Glück noch Windeln. Dafür hat sie um ihn Sorge, weil in der Diele der Wohnung ein großes Loch im Boden klafft, durch das ein Kleinkind ohne Weiteres hindurchpasst. Auch hier wurden alle sieben Etagen geöffnet und miteinander verbunden. „Gestern sind von oben kleine Steine durchgefallen“, berichtet sie. Als Maty den Sicherheitsmangel ansprach, legten die Arbeiter eine dünne Pressspanplatte schräg über das Loch. Das war es.
Sohn (6) weinte heftig, weil er dort nicht mehr wohnen wollte
In Sandra Matys Wohnung sind die Türen mit Planen mit Reißverschlüssen verklebt, durch die man in Schlaf- und Kinderzimmer sowie die Küche gelangt. Trotzdem bedeckt ein dichter Staubfilm ihre Arbeitsplatte und den Tisch. „Bei mir ist es sonst immer wie geleckt. Mein Sechsjähriger kam am ersten Tag nach Hause und hat schrecklich geweint. Er wollte nicht mehr hier wohnen.“
Eine Wahl hat der Junge allerdings nicht. Ein Hotel, so Nico Federmann vom Mieterbund in Wuppertal und Umgebung, müsse der Vermieter in diesem Fall nicht bezahlen. „Es ist ein gravierender Mangel – aber die Wohnung ist nicht unbewohnbar“, erklärt er. So bleibe den Bewohnern nur, die Miete zu mindern. „Und zwar beträchtlich“, sagt Federmann. Auch der Mieterschützer findet die Baumaßnahme heftig: „So etwas hatte ich vorher einmal in zwölf Jahren!“ Nicht nur, weil die Eingriffe größer sind als angekündigt, alle Wohnungen miteinander verbunden wurden und so Gerüche wie Geräusche durch das gesamte Gebäude waberten, sondern auch, weil die Arbeiten „zur Unzeit“ kämen – eben direkt nach Beginn der Heizperiode.
Und bisher sei unklar, ob die Mieter nachher auch noch eine Mieterhöhung bekommen. Diese, so Federmann, hätte den Bewohnern mit der Ankündigung der Modernisierung drei Monate im Voraus eigentlich angekündigt werden müssen. Generell darf ein Vermieter bis zu elf Prozent der Kosten auf die Mieter umlegen. Die Hausverwaltung war für eine Stellungnahme vorerst nicht erreichbar.
Julia Burgardt interessiert das ohnehin kaum noch. Sie sucht nach einer neuen Wohnung. „Leider haben wir nicht mehr rechtzeitig etwas gefunden“, sagt die 31-Jährige. Auch Sandra Maty und ihre Familie wollen weg aus der Kaiserstraße. Aber einstweilen stellt sich die Mutter auf ein staubiges, zugiges Weihnachtsfest ein. „Die Arbeiter haben gesagt, sie schaffen es vielleicht nicht bis dahin“, sagt sie. „Dann kommen sie im neuen Jahr wieder ...“