Vor dem Essener Landgericht beginnt am 4. April ein Zivilprozess wegen sexuellen Missbrauchs eines Elfjährigen durch einen Priester. Kläger ist der heute 56-jährige Wilfried Fesselmann, der nach eigener Schilderung im Sommer 1979 von einem Essener Geistlichen bei einem angeblichen „Fernsehabend“ in der Wohnung des Priesters zu Oralsex genötigt worden sein soll. Zuvor habe der Priester ihn mit Alkohol „gefügig gemacht“, schildert der Mann den Ablauf.
Bis heute leide er deshalb an Angststörungen und sei alkoholsüchtig geworden, sagte der Kläger der Deutschen Presse-Agentur. Er fordert vom Bistum Essen ein „angemessenes Schmerzensgeld“ nicht unter 300.000 Euro. Zum Prozessauftakt sei der Priester vorgeladen, sagte ein Gerichtssprecher. Strafrechtlich sind die Taten verjährt.
Bistum bringt Priester mit 28 Missbrauchstaten in Verbindung
Das Bistum Essen hatte schon vor Jahren über die Taten informiert und auch Konsequenzen gezogen. 2010 wurde dem katholischen Priester wegen wiederholter Missbrauchsfälle die Ausübung kirchlicher Dienste verboten. 2022 wurde er in den Laienstand zurückversetzt, wodurch er seine kirchlichen Altersbezüge verlor. Im Vorfeld des Prozesses hatte das Bistum freiwillig auf eine rechtlich mögliche Zurückweisung der Schmerzensgeldklage wegen Verjährung verzichtet.
Nach Bistumsangaben hat der beschuldigte Ex-Priester seit seiner Kaplanszeit in den 1970er-Jahren zunächst in Bottrop und später in Essen in seinen Gemeinden Kinder sexuell missbraucht. Insgesamt seien mutmaßlich mindestens 28 Menschen - in der Regel Kinder und Jugendliche - von den Missbrauchsfällen in Nordrhein-Westfalen und in Bayern durch den Mann betroffen, hatte das Essener Bistum Mitte 2022 resümiert.
Wegen der Missbrauchsvorwürfe war der Geistliche Anfang der 1980er-Jahre nach Bayern ins Erzbistum München und Freising versetzt worden, um sich dort einer Therapie zu unterziehen. Dort war der Missbrauch an verschiedenen Stationen unter anderem in München und Garching aber weitergegangen. Mitte der 1980er Jahre wurde der Geistliche in Bayern wegen Missbrauchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Kläger sieht Vermögensschaden von 780.000 Euro
Von der 2021 eingerichteten Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche hat Kläger Fesselmann bereits 35.000 Euro bekommen.
Diese Summe werde seinem Leid aber bei weitem nicht gerecht, sagt der gelernte Bürokaufmann. Wegen der Folgen des Missbrauchs habe er 24 Jahre nicht arbeiten können. Bis heute könne er wegen seiner Angststörungen nicht selbst Autofahren und habe Probleme beim Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel. Seinen Vermögensschaden einschließlich verlorener Rentenanwartschaften beziffert er auf insgesamt 780.000 Euro.
2023 hatte das Kölner Landgericht in einem bundesweit beachteten Prozess einem anderen Kläger 300.000 Euro zugebilligt, weil er in seiner Zeit als Messdiener im Erzbistum Köln missbraucht worden war.
In Bayern läuft seit zwei Jahren ein weiterer Missbrauchsprozess
Vor dem Landgericht Traunstein in Bayern läuft bereits seit zwei Jahren ein weiterer Missbrauchsprozess rund um Vorwürfe gegen den Ex-Priester. Ein früherer Ministrant gibt an, Mitte der 1990er Jahre von ihm in Garching an der Alz sexuell missbraucht worden zu sein. Er fordert - wie der Essener Kläger - mindestens 300.000 Euro Schmerzensgeld, und zwar vom Erzbistum München und Freising.
Dieser Prozess hatte vor allem deshalb bundesweit Schlagzeilen gemacht, weil unter den Beklagten ursprünglich auch der 2022 gestorbene Papst Benedikt XVI. (1927-2022) war. Als damaliger Kardinal Joseph Ratzinger war er Erzbischof von München und Freising, als der betreffende Priester in sein Bistum versetzt wurde.
Das Verfahren gegen ihn wurde aber abgetrennt, weil nach seinem Tod unklar war, wer seine Rechtsnachfolge antritt und damit gewissermaßen auch das Verfahren erbt. Deshalb bleibe das Verfahren in diesem Zusammenhang ausgesetzt, hatte das Landgericht Traunstein erklärt.
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