„Es herrscht absoluter Notstand“
Auf dem Rathausmarkt machten gestern Erzieherinnen ihrem Ärger Luft — und bekamen viel Unterstützung von den Eltern.
Viersen. Auf dem Rathausmarkt in Viersen wurde es gestern laut: Der Lärm von Ratschen und Pfeifen sowie Jubelrufe und lautes Klatschen schallen über den Platz als Lena Nippeßen, Erzieherin in der Kita des Familienzentrums Mühlenstraße in Mönchengladbach, rund 400 weiteren streikenden Erziehern sowie den betroffenen Eltern der bestreikten Kitas den Grund für die Arbeitsniederlegung erneut vor Augen führt: „Wir sind Experten für die frühkindliche Bildung, Partner für Eltern und Begleiter für die Kinder“, so Nippeßen. „Unsere Tätigkeit ist vielfältig, aber wir werden nicht gut genug dafür bezahlt. Das lassen wir uns nicht länger gefallen.“
Alexandra Kiepe, Mutter
Kolleginnen der Rednerin, Iris Köhler und Sabrina Strauß, unterstützen die Aussagen. „Die Entlohnung passt nicht mehr zum Arbeitsbereich der Erzieher“, sagt Köhler. „Es gibt Inklusion, wir haben einen Bildungsauftrag, müssen sämtliche Abläufe dokumentieren, kurz: Wir müssen dem gesellschaftlichen Wandel gerecht werden.“ Dies müsse sich auch im Gehalt niederschlagen. „Daher ist die Streikbereitschaft groß“, sagt Strauß. Nur wer an die Öffentlichkeit gehe, werde gehört. „Es ist natürlich nicht schön, dass für einige Eltern dadurch Probleme entstehen, trotzdem zeigen diese uns fast zu 100 Prozent ihre Unterstützung“, so Köhler.
Eltern, die den Streik unterstützen, sind Alexandra Kiepe aus Dülken und Anja van Pol aus Süchteln. Da die Kitas ihrer Kinder auch vom Streik betroffen sind, haben sie ihre Töchter mit auf den Rathausmarkt genommen. „Wir stehen hinter den Erziehern“, so Kiepe. „Was jetzt schief läuft, geht alles auf Kosten unserer Kinder.“ Durch die vielen Zusatzaufgaben, die zu erledigen seien, könnten die Erzieher den Kindern nicht mehr gerecht werden. „Ich will lieber, dass gemeinsam gespielt, gebastelt und gesungen wird, als dass seitenlange Entwicklungsberichte über mein Kind angefertigt werden“, sagt Kiepe. Diese Informationen könnten auch in einem individuellen Gespräch vermittelt werden.
Anja van Pol, Mutter
„Der Staat hat verkannt, dass die Kinder unsere Zukunft sind“, sagt van Pol. Was das Betreuungsangebot für Kinder betrifft, sei Deutschland weit hinterher. „In den Niederlanden — nur fünf Kilometer entfernt — oder in Frankreich ist es besser.“
Zwar stehen die beiden Frauen hinter dem Streik der Erzieher, die damit einhergehenden Probleme für Eltern sind ihnen aber durchaus bewusst. „Vor allem Alleinerziehende haben es schwer“, so Kieper. Und je länger es wird, desto schlimmer. „Ich habe das Glück, selbstständig zu sein. Da kann das Büro auch mal leer stehen, oder ein Verwandter springt ein. Bei einem anderen Arbeitgeber ist das nicht gegeben“, so van Pol. Doch auch da lasse sich Abhilfe schaffen. Zum einen hätten sich einige Eltern zusammengetan, um ihre Kinder gegenseitig zu betreuen. Zum anderen gebe es in vielen Kitas Notgruppen. Der Haken daran: Die Kinder kommen in eine andere räumliche Umgebung, werden von fremden Erziehern betreut, treffen auf fremde Kinder. „Da setzt man seine Kinder mit keinem guten Gefühl ab“, sagt Kiepe. Vor allem für Kinder unter drei Jahren seien derartige Umstellungen und Veränderungen nicht einfach.
Erhöhte Kita-Gebühren, die, im Falle einer Gehaltserhöhung für die Erzieher, den Eltern bevorstünden, sind diesen zwar ein Dorn im Auge, aber kein Grund, den Streik nicht zu unterstützen. „Ich zahle lieber mehr, als dass mein Kind gar keinen Kitaplatz bekommt“, so van Pol.
Während alle über Kitas reden, wird Erzieherinnen von offenen Ganztagsschulen (OGS) kaum Beachtung geschenkt. Zwei Erzieherinnen einer OGS in Viersen, die namentlich nicht genannt werden wollen, nutzten die Kundgebung, um auf die Missstände in ihren Einrichtungen aufmerksam zu machen. „Es herrscht absoluter personeller Notstand“, so die Frauen. „Wenn wir Pech haben, müssen wir auch den Küchendienst übernehmen. Wer soll sich da noch um die Kinder kümmern?“ Diese seien es, die am Ende leiden. „Viele wissen gar nicht, dass wir existieren, aber auch wir fordern eine bessere Eingruppierung.“