Keine Seltenheit: Leben im kaputten Haus

In nicht einmal drei Jahren sind 555 Beschwerden bei der Stadt eingegangen — die Wohnungsaufsicht kümmert sich um einige Fälle.

Foto: Andreas Gruhn

Es muss Zeiten gegeben haben, in denen dieses Haus in der Nähe der Innenstadt schön war. Die Stuckverzierungen an der Fassade künden von einer viel besseren Zeit. Was sich heute dahinter allerdings abspielt, ist weit davon entfernt: Feuchtigkeit frisst sich an einigen Stellen durch den Putz, an anderen Stellen ist der Putz abgeplatzt und legt den Blick frei auf schwarzes Etwas. In den Wohnungen von zwei der drei betroffenen Mieter wackeln Fliesen, sind Fenster undicht, Heizungen kalt. In einer Küche lässt sich der Fußboden unter dem PVC-Belag wie feuchter Kaffeesatz mit den Händen zerbröseln. Auf dem Dach eines Anbaus sammelt sich Wasser, das Dach biegt sich. Weil es im Flur stinkt, steht die Haustür immer auf.

Foto: Andreas Gruhn

Mieter

Foto: Andreas Gruhn

Wer sich aus dem Fenster lehnt und den Schornstein anschaut, entdeckt einen bedenklich wackelig aussehenden Steinhaufen. „Ich bin froh, wenn wir hier raus sind “, sagt einer der Mieter, der in einer Wohnung mit seiner vierköpfigen Familie wohnt. In der Wohnung darüber wohnt eine Familie mit sechs Kindern. „Wir haben immer wieder beim Vermieter angerufen, dass die Mängel beseitigt werden müssen“, sagt der Mann. Getan habe sich nichts, außer dass die Mietzahlungen vom Jobcenter wie gewohnt weiter fließen. Die Vermieterin widerspricht: „Laut Mietvertrag ist der Mieter verpflichtet, die Mängel schriftlich anzuzeigen. Das ist zu keinem Zeitpunkt geschehen.“ Am 24. Januar rückte nach einer Beschwerde der Bewohner die Wohnungsaufsicht der Stadt an, fertigte gemeinsam mit der Eigentümerin bei einer Hausbesichtigung ein Mängelprotokoll an. „Inzwischen liegt eine schriftliche Erklärung des Eigentümers vor, sämtliche Mängel unverzüglich zu beseitigen“, teilt die Stadt mit. Die Eigentümerin betont, die Arbeiten seien in Teilen bereits ausgeführt. In der Tat: Bis gestern war das zuvor wackelige Geländer im Treppenhaus fixiert, die Beleuchtung in den Fluren erneuert, die Heizung in der Wohnung lief. Die Eigentümerin betont: „Bis zu dem Kontakt mit der Stadt waren mir keine Mängel bekannt.“ Andere beanstandete Mängel lägen auch in der Schuld der Mieter.

Solch ein Fall ist keine Seltenheit für die Wohnungsaufsicht. Seitdem das entsprechende Wohnungsaufsichtsgesetz im April 2014 in Kraft getreten ist, sind bisher 555 Beschwerden bei der Stadt eingegangen. In den meisten Fällen rühren sich Eigentümer und Vermieter dann auch, wenn sie um freiwillige Beseitigung der Mängel gebeten werden. Erst wenn sich dann nichts tut, wird die Beseitigung angeordnet, und es wird mit einem Zwangsgeld gedroht. „Oft sind dann die Mieter aus den betroffenen Wohnungen bereits ausgezogen, weil sich dieses Verfahren über Monate erstreckt und vor jedem weiteren Schreiben Kontrollen vor Ort notwendig sind“, sagt Stadtsprecher Dirk Rütten.

In den 555 Fällen musste die Wohnungsaufsicht 30 Mal die Sanierung bei renitenten Eigentümern anordnen und ein Zwangsgeld androhen, und in fünf Fällen mussten die Vermieter zahlen, weil sich nichts getan hat. Dabei sind es nach Erfahrung der Wohnungsaufsicht oft Mieter, die nicht selbst in der Lage sind, rechtliche Schritte gegen den Vermieter zu unternehmen, unter anderem auch aus finanziellen Gründen. „Gerade in einer Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderzugehen scheint, wird das Wohnungsaufsichtsgesetz immer wichtiger“, so die Stadt.

Ob die Auseinandersetzung im aktuellen Fall zu kitten ist, ist fraglich. Der Wohnungseigentümer erklärte, die Mieter seien bereits zum 31. August 2016 gekündigt worden. Sie seien nur schlicht nicht ausgezogen, weil sie noch auf der Suche nach einer neuen Bleibe seien: „Deshalb wurde die Räumungsklage bisher nicht eingereicht.“