Michael Emge stand auf „Schindlers Liste“: Der einzige Überlebende
Michael Emge stand als Kind auf „Schindlers Liste“. Das rettete ihn vor dem Holocaust.
Mönchengladbach. Michael Emge hat unvorstellbares Leid ertragen. Er überlebte den Aufenthalt in mehreren Konzentrationslagern, weil er als eines der wenigen Kinder auf „Schindlers Liste“ stand.
Am Dienstag war der 81-Jährige zusammen mit der Hörfunkjournalistin und Buchautorin Angela Krumpen in Waldhausen zu Gast. Die Stiftung des Volksvereins und die Citykirche hatten die beiden im Rahmen der Kulturzeit in den „Treff am Kapellchen“ (TaK) eingeladen.
Es kamen rund 100 Besucher. Deshalb wurde die Veranstaltung in die Brandts-Kapelle nebenan verlegt. Krumpen hat das Buch „Spiel mir das Lied vom Leben“ geschrieben, das über Emges Erfahrungen mit dem Holocaust berichtet. Der letzte in Deutschland lebende Zeitzeuge von „Schindlers Liste“ sprach über seine schrecklichen Erlebnisse.
Wenn ihn die Erinnerung überwältigte, las Krumpen die entsprechenden Passagen aus ihrem Buch. Emge lebte mit seiner Familie im polnischen Bochnia, in der Nähe von Krakau.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden sie in ein Ghetto gebracht, später in das Konzentrationslager Plaszow, südöstlich von Krakau. Dort arbeitete Emges Mutter in der Fabrik von Oskar Schindler, er und sein Vater in der Lagerwerkstatt. Eines Tages holte ihn ein Unteroffizier ab.
Emge dachte, er müsse sterben. Der Soldat brachte ihn aber zu einem Hundezwinger und sagte ihm, Emge solle sich um die Tiere kümmern. Er musste an diesem Tag nicht zum Kinderappell, blieb über Nacht bei den Tieren. Als er am nächsten Morgen zurück in die Wohnbaracke kam, erfuhr Emge, dass in der Nacht 700 Kinder auf Lkw geladen und in Gaskammern gebracht worden waren. „Schindlers Liste“ hatte ihm das Leben gerettet.
Emges Vater wurde später aus Plaszow abgeholt, sein Bruder verschwand spurlos. Während seine Mutter nach Auschwitz deportiert wurde, kam Emge in die Munitionsfabrik nach Brünnlitz (heute Tschechien). Nachdem dort später ein Wiedersehen mit seiner Mutter scheiterte, verlor Emge seinen letzten Halt, fühlte sich endgültig allein auf der Welt, buchstäblich mutterseelenallein.
Er erkrankte schwer an Typhus, wurde zwei Monate versteckt, gab den Ratten sein Essen, damit sie nicht an ihm nagten. Als der Krieg zu Ende war und Emge befreit wurde, war er 15 Jahre alt und wog 27 Kilogramm. Von 65 Familienangehörigen war er der einzige Überlebende.
Im Buch geht es auch um Emges ungewöhnliche Freundschaft mit der heute 15-Jährigen Geigerin Judith Stapf, die er vor vier Jahren kennenlernte. Judith hatte bei „You Tube“ zufällig die Titelmelodie zu Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ gefunden. Das Mädchen war davon fasziniert, wollte die Musik auf der Geige spielen. Die damals Zehnjährige begann, sich für die Geschichte des Holocaust und seine Überlebenden zu interessieren.
Über Bekannte der Familie lernte sie Michael Emge kennen, der anfangs skeptisch war. „Mein erster Eindruck war, sie ist zu jung für dieses Thema. Ich habe aber schnell gemerkt, dass Judith es ernst meint“, sagt er heute. Zusammen mit Krumpen und Judiths Mutter Silke reiste Emge nach Polen und zeigte ihnen dort die Originalschauplätze des Holocaust.
Während der rund zweistündigen Reise in Emges schreckliche Vergangenheit herrschte in der Kapelle absolute Stille. „Wie können Sie mit diesen Erlebnissen weiterleben?“, fragte eine Dame, die selbst Opfer des Holocaust ist. „So etwas darf nie wieder passieren. Deshalb habe ich beschlossen, Schülern über mein Leben zu berichten“, sagt Emge. Seine Stimme klingt dabei besonders fest und entschlossen.