Berufswelt in Mönchengladbach Wenn Abiturienten in die Lehre gehen
Mönchengladbach · Muss es immer ein Studium sein? Nein. Drei junge Mönchengladbacher haben sich anders als die meisten Mitschüler für eine Ausbildung entschieden. Was die Gründe sind und wie mehr Gymnasiasten von diesem Weg begeistert werden könnten.
Oberstufe, Abitur, Studium. Für die Mehrheit der Gymnasiasten und Gesamtschüler scheint dieser Weg fest vorgegeben zu sein. Eine Lehre fangen nur vergleichsweise wenige an. Kevin Singh ist einer von ihnen. Ab dem 1. August wird der 18-Jährige eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration beginnen. Nach zwölf Jahren theoretischem Schulunterricht sehnt er sich nach einer neuen, handfesteren Herausforderung, sagt er. Schon als Jugendlicher habe er sich für die Funktionsweise und komplexe Technik von Computern interessiert. „Ich wollte mir meinen eigenen PC zusammenbauen, habe viel ausprobiert“, sagt Singh. „Deswegen war mir früh klar, dass ich mich in Richtung IT-Branche orientiere.“
Viele seiner Mitschüler am Hugo-Junkers-Gymnasium hätten sich hingegen dazu entschieden, auf die Universität zu gehen. „Diesen Trend beobachten wir nach wie vor“, bestätigt Denise Düren, Teamleiterin der Berufsberatung von der Arbeitsagentur in Mönchengladbach. Allerdings ist dieser Trend rückläufig, wie Zahlen einer neuen Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zeigen: 2021 hat sich schon die Hälfte (47,4 Prozent) der Studienberechtigten für eine duale oder schulische Ausbildung entschieden. 2011 war es nur etwa jeder Dritte. Allerdings macht die duale Ausbildung den größten Teil des Zuwachses aus.
Für eine klassische Lehre hat sich indes Albin Govori entschieden: Im Herbst startet seine Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik beim Familienunternehmen Elektro Löb in Neuwerk. Privat sei ihm mitgegeben worden, „dass das Handwerk schlecht ist“. Das sieht Govori, der auf der Gesamtschule Volksgarten sein Abitur gemacht hat, anders: „Elektroniker werden immer gebraucht. Das ist ein zukunftssicherer Beruf.“ Zudem mache der Fachkräftemangel es dringend nötig, dass auch Abiturienten eine Ausbildung anstreben. Der heute 20-Jährige hat selbst zunächst ins Studium „reingeschnuppert“, sich aber schnell dagegen und für eine Lehre entschieden: „Dieser Frontalunterricht ist nichts für mich. In der Ausbildung kann ich etwas lernen und direkt praktisch anwenden.“
1400 Ausbildungsplätze zählt die Arbeitsagentur für die Vitusstadt
Etwa 1400 Ausbildungsplätze zählt die Arbeitsagentur für die Vitusstadt. Sila Uskaner hat einen bei der Stadt selbst bekommen: Die 18-Jährige wird Verwaltungsfachangestellte für öffentliche Ordnung. „Mich hat vor allem überzeugt, dass nach der Ausbildung viele Wege offenstehen“, sagt sie. Die Schwester der Abiturientin arbeitet bei der Polizei, und auch sie möchte sich für die Mönchengladbacher einsetzen, wie Uskaner betont: „Beim Ordnungsdienst komme ich direkt mit den Menschen in Kontakt, kann sie unterstützen. Das will ich schon lange machen und bekomme nun die Möglichkeit dazu.“
Dass der Weg nach dem Abitur für viele unweigerlich an die Universität führen muss, kann sie nicht nachvollziehen. „Ich finde, zu studieren ist schon eine Art Statussymbol geworden. Dabei gibt es viele Jobs, die keinen Uniabschluss voraussetzen, aber mindestens genauso wichtig für die Gesellschaft sind“, sagt die Abiturientin des Stiftisch-Humanistischen Gymnasiums. Nach ihrem Empfinden werden Schüler zu wenig über den Ausbildungsweg informiert. „So entsteht schnell das Gefühl, dass ein Studium die bessere Wahl ist“, sagt sie.
Kevin Singh sieht das ähnlich: „Wir wurden wenig über die Möglichkeiten aufgeklärt. Es wurde auch selten darüber gesprochen, dass eine Ausbildung eine sinnvolle Alternative zum Studium sein kann“, sagt der 18-Jährige. Er selbst sei davon überzeugt, freue sich schon jetzt darauf, in den kommenden Jahren praktische Erfahrung in der Berufswelt zu sammeln.
Seinen Ausbildungsplatz fand der Abiturient über die Arbeitsagentur. Zunächst wollte er sich einen Überblick über die Unternehmen in der Stadt verschaffen, bekam nach einem Beratungsgespräch Ausbildungsstellen zugeschickt, die seinem Jobprofil und seinen Interessen entsprachen. „Da haben immer noch ziemlich viele Firmen gepasst, aber nach einiger Internetrecherche und einem sehr positiven Eindruck beim Bewerbungsgespräch war meine Entscheidung dann klar“, sagt er.
Besonders wichtig ist ihm, dass nach der Ausbildung neue Weiterbildungsmöglichkeiten und zum Beispiel ein Studium offenstehen. Und auch Albin Govori sieht die Lehre als einen ersten Schritt: „Es gibt top Weiterentwicklungsmöglichkeiten – zum Beispiel zum Techniker oder Meister.“ Das sei in der Schule nicht dargestellt worden. „Die Schulen sollten mehr aufklären, Firmen einladen und über die vielen Möglichkeiten informieren“, sagt er. „Zum Beispiel gibt es die Überzeugung, dass ein Studium automatisch mehr Gehalt bedeutet. Aber das stimmt nicht.“ Und auch die Politik sieht er in der Verantwortung, Ausbildungen attraktiver zu machen. Das vorherrschende Ungleichgewicht in der Wahrnehmung der Schüler versucht die Arbeitsagentur über einen engen Austausch mit Lehrkräften und Unternehmen zu lösen. „Über mehr Aufklärung und einen anderen Fokus kann die Ausbildung besser hervorgehoben werden“, sagt Denise Düren von der Mönchengladbacher Berufsberatung.