Revolution für die Hilfsbedürftigen

Unterricht für Behinderte? Das war vor 150 Jahren eigentlich undenkbar. Karl Barthold tat es. Er gründete Hephata.

Mönchengladbach. Heinz Jakszt kam 1939 nach Hephata, weil er unter epileptischen Anfällen litt. 1943 wurde er in die NS-Tötungsanstalt Hadamar verlegt. Im selben Jahr erfuhren seine Angehörigen, der junge Mann sei an den Folgen einer Herzschwäche gestorben. So lautete die offizielle Version seiner Mörder. Tatsächlich wurde Jakszt mit einer Giftsspritze getötet.

Seine Leidensgeschichte ist nur eine von vielen. 180 Bewohner Hephatas fielen der Euthanasie zum Opfer. Auch wenn die Anstaltsleitung versuchte, die 800 Bewohner des Heims vor dem Zugriff der Nazis zu schützen, bleibt die so genannte "Vernichtung unwerten Lebens" im Dritten Reich ein dunkles Kapitel im Geschichtsbuch Hephatas.

Wenn die Mönchengladbacher Einrichtung für Menschen mit Behinderungen in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag feiert, geht es auch "um einen ehrlichen Blick auf diese Geschichte", sagt Pfarrer Christian Dopheide, neben Klaus-Dieter Tichy Vorstand der Evangelischen Stiftung.

Gleichzeitig seien auch viele "Impulse und Aufbrüche" von der Einrichtung ausgegangen, seit der Taubstummenlehrer Karl Barthold am 20. Februar 1859 Hephata in Mönchengladbach gründete.

Heute setze die Einrichtung mit ihrem Konzept, Menschen mit Behinderungen möglichst selbstbestimmt und in ihrer gewohnten Umgebung leben zu lassen, "Maßstäbe für einen modernen Ansatz in der Heilpädagogik", so Dopheide.

Bereits im Gründungsjahr der Einrichtung kam es einer Revolution gleich, diejenigen unterrichten zu wollen, die im allgemeinen Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts als Blödsinnige bezeichnet und als Strafe Gottes weggesperrt wurden. Der Pädagoge Barthold hatte zunächst vier Jungen mit Behinderungen in seinem Haus an der Viersener Straßen aufgenommen.

Ab 1861 lebten und lernten 100 Menschen in dem zwischen Mönchengladbach und Rheydt neu erbauten Johanniter-Haus, 32 Jahre bevor Preußen ein "Gesetz zu Fürsorge von Geistesschwachen" erließ. Noch in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist Hephata Heil- und Pflegeanstalt, in der das Leben seiner "Insassen" vom Pflegepersonal organisiert und unter oft unmenschliche Bedingungen reglementiert wird.

Erst Anfang der 70er Jahre geht die Einrichtung neue Wege: Die ersten Wohneinheiten außerhalb des Gebäudes und Werkstätten mit Arbeitsplätzen entstehen.

Stefan Henneke, der 1981 als Zehnjähriger nach Hephata kam, erinnert sich noch an die großen Schlafsäle, in denen er mit bis zu zehn Kinder schlafen musste: "Später, mit dem Bau der Jugendsiedlung an der Karl-Barthold-Straße wurde es dann für uns viel besser." Die Jugendlichen lebten jetzt in kleineren Einheiten, zum Teil in Zwei- oder Einzelzimmern. Der heute 39-Jährige hat die Entwicklung von einer Anstalt zu einem modernen Unternehmen miterlebt.

In verschiedenen Wohngruppen lernte Henneke selbstständig zu werden. Heute hat er eine Frau und zwei Kinder und steht als Mitarbeiter des Hep-Cafés auf eigenen Füßen.

Regionalisierung und weitere Dezentralisierung seien die Stichwörter für die zukünftige Ausrichtung der Behinderteneinrichtung, sagt Öffentlichkeitsreferent Dieter Kalesse.