War es ein versuchter Mord?
Das Strafmaß ist weiterhin umstritten. Am Montag soll das Urteil gefällt werden.
Mönchengladbach. Bis zum Schluss bleiben die Einschätzungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung völlig unterschiedlich, was einen Tritt gegen den Kopf des Polizisten Michael Frehn — bekannt aus der RTL-II-Serie Ärger im Revier — angeht. Der inzwischen 21-jährige Roberto di S. aus Odenkirchen hatte im Prozess eingeräumt, den Polizisten getreten zu haben. Auch im Schlusswort sagte er noch einmal: „Es tut mir leid, was geschehen ist.“
Für Staatsanwältin Carola Guddat ist die Tat ein versuchter Mord. Sie fordert (mit zwei anderen Taten) eine Haftstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten — nach Erwachsenenstrafrecht. Michael Frehns Anwalt Florian Hupperts, der die Nebenklage vertritt, wollte sich nicht auf ein Strafmaß festlegen, sieht die Tat auch als versuchten Mord an.
Doch er erwartet von dem Urteil, das am Montag fallen soll, noch mehr: „Es soll deutlich werden, dass Gewalt gegen Polizeibeamte weder von der Gesellschaft noch von der Rechtsordnung toleriert wird.“ Verteidiger Mario Prigge hat eine andere Sicht der Dinge. Er führte Urteile des Bundesgerichtshofs an, wonach die Abgrenzung zwischen einem Tötungsvorsatz und einer gefährlichen Körperverletzung nicht eindeutig sei. Einen Tötungsvorsatz könne man nur bei mehrfacher Gewaltanwendung annehmen, argumentierte er.
Di S. aber hatte Frehn das komplette Mittelgesicht mit einem einzigen wuchtigen Tritt zertrümmert. Prigge sieht das Jugendstrafrecht als Mittel der Wahl an, da sein Mandant in der Reife zurückgeblieben sei. Er forderte, dass die Strafe vier Jahre und sechs Monate wegen gefährlicher Körperverletzung nicht übersteigen solle.
Schon der Einstieg in den Prozesstag war besonders. Richter Lothar Beckers wandte sich an die Zuhörer. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass eine Prozessbeteiligte nach dem letzten Verhandlungstag von Zuhörern vor dem Gerichtsgebäude beleidigt worden sei. Passiere das noch einmal, werde er das verfolgen lassen.
Dann schritt er zur Tat. Denn vier Beweisanträge des Verteidigers lagen noch vor. Er wollte mit Gutachten auf die verschiedensten Arten beweisen lassen, dass sein Mandant bei der Tat keine Schuhe getragen habe. Drei Anträge wies das Gericht wegen Bedeutungslosigkeit zurück. Der Frage, ob die DNA von Frehn an die getragene Socke kommen konnte, wenn di S. Schuhe angehabt hätte, klärte die Kammer aber durch eine Augenscheinnahme. Beckers streifte einen Latexhandschuh über die Hand und schlüpfte in die dreckige Socke und den Schuh. Und damit stand für die Kammer fest: Die Stelle mit der DNA liegt nicht, wie immer angenommen, unter der Zunge des Schuhs, sondern frei.
Entsprechend deutlich wurden Staatsanwältin und Nebenklage auch in ihren Plädoyers. Die Zeugen, die ausgesagt hätten, di S. wäre auf Socken unterwegs gewesen, seien unglaubwürdig, befanden beide.