„Goldene Blume von Rheydt“ für Michael Braungart Goldene-Blume-Preisträger bietet OB Hilfe an
Rheydt. · Der Öko-Wissenschaftler Michael Braungart wurde mit der Goldenen Blume von Rheydt ausgezeichnet.
Das Derby Köln gegen Gladbach ist gerade 0:1 zu Ende gegangen, da spielt die Domstadt auf der Bühne des Mönchengladbacher Theaters schon wieder eine Rolle: „Köln und Düsseldorf wetteifern, wer zuerst klimaneutral sein wird“, sagt Professor Michael Braungart. Klimaneutral könnten sie aber nur sein, wenn sie nicht existierten. Die Nicht-Existenz Düsseldorfs wäre „aus Kölner Sicht vielleicht erfreulich“. Das Publikum lacht.
Sympathische Provokation auf wissenschaftlicher Basis – das ist die Spezialität des aktuellen Preisträgers der „Goldenen Blume von Rheydt“. Der Chemiker, Verfahrenstechniker und Ökovisionär erhält den ältesten Umweltpreis Deutschlands für seinen jahrzehntelangen Einsatz für Nachhaltigkeit und Ökologie, wie Karl Hans Arnold, Vorsitzender des Direktoriums des „Kuratoriums zur Verleihung der Goldenen Blume von Rheydt“, in seiner Laudatio betont.
Braungart hat mit dem US-Designer William McDonough das „Cradle-to-Cradle“-Prinzip (C2C) entwickelt. Wörtlich übersetzt heißt das „Von der Wiege zur Wiege“ und ist das Konzept einer nahezu abfallfreien Wirtschaft, bei der Produkte keine gesundheits- und umweltschädlichen Materialien mehr enthalten und alle Stoffe dauerhaft in natürlichen oder geschlossenen technischen Kreisläufen verbleiben.
Der frisch Geehrte macht Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners gleich ein Angebot: Beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt formuliert Braungart die Hoffnung, dass Mönchengladbach Cradle-to-Cradel-Modellstadt in NRW wird – so wie das niederländische Venlo, dessen Bürgermeister Antoin Scholten im Publikum sitzt. Scholtens nach dem C2C-Prinzip erbauter Amtssitz („Darin ist die Luft besser als draußen“, so Braungart) ist bereits Vorbild für den geplanten Rathaus-Neubau am Rheydter Marktplatz.
Braungart ist überzeugt: Bis 2050 können wir den Wandel schaffen.
Doch der Preisträger denkt an mehr für Mönchengladbach: Sämtliche Papierprodukte der Stadtverwaltung, auch Toilettenpapier und Schulbücher, städtische Gebäude, der Reifenabrieb des Fuhrparks – alles soll C2C entsprechen. „Wenn Sie das machen wollen, stelle ich mich dafür die nächsten zwölf Monate zur Verfügung – ehrenamtlich“, bietet Braungart an. „Eine sinnvolle Sache, gerade vor dem Hintergrund, dass wir für den Strukturwandel nach dem Tagebau Fördergelder beantragen“, sagt Reiners.
Braungart setzt auf Ökoeffektivität und warnt in seiner Dankesrede vor falschem Nachhaltigkeitsdenken. Schlechtes wie Abfall zu reduzieren, sei nicht die Lösung. „Wo ist der Unterschied, ob ich 50-mal oder 90-mal erschossen werde?“ Er fordert ein grundsätzliches Umdenken: Ein Baum zum Beispiel produziere eine Fülle von Blüten, Früchten, Laub, die zu Boden fallen und den anreichern. Ameisen entsprächen in ihrem Energieverbrauch einer Weltbevölkerung von 30 Milliarden Menschen. Ihre Ökobilanz sei trotzdem gut, weil sie alles wiederverwerteten. „Wir sind die einzigen Lebewesen, die Abfall produzieren, alle anderen sind nützlich“, so Braungart. Der Mensch müsse also lernen, nützlich zu sein – auch zu sich selbst.
Seinen Appell garniert er mit schrägen Beispielen aus seiner Forschung: So esse jede Frau in ihrem Leben durchschnittlich 6,3 Kilogramm Lippenstift. Was angesichts der Inhaltsstoffe nicht gerade gesund ist. Neonazis mit Glatze seien weniger umweltschädlich, weil sie weniger Shampoo verbrauchten (enthält Mikroplastik und andere Schadstoffe). Wer mit einem modernen Aufzug fahre, verbrauche fünfmal weniger Energie, als wenn er die Treppe benutze – wegen des Abriebs und weil er ungesund früher sterbe. Schwarzer Humor, der Botschaften ins Gedächtnis brennt.
Dass die Kreislaufwirtschaft funktioniert und sich nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell und sozial auszahlt, zeige sich an der schnellen Verbreitung des C2C-Prinzips. Mehr als 10 000 Produkte seien diesem entsprechend bereits entwickelt worden: Ein Möbelstoff, der wegen seiner Gifte nicht als Sondermüll verbrannt werden muss, sondern sogar bedenkenlos verspeist werden könnte. Ein T-Shirt, das ein Discounter bald auf den Markt bringt, das komplett kompostierbar ist und mit dem giftfreien Wasser aus dessen Produktion in Bangladesch Bauern ihre Felder gießen könnten. Reifen, Turnschuhe, Druckprodukte, Medikamente – die Liste ist lang. Braungart ist überzeugt: Bis 2050 können wir den Wandel schaffen.