Seit 15 Jahren drehen sich die Rotoren der ersten deutschen Offshore-Windkraftanlage mit einer Leistung von 2,5 Megawatt. Sorgen in der Branche. Offshore-Windenergie: Noch Luft nach oben
BERLIN · . Einsam steht die 125 Meter hohe Windkraftanlage im Rostocker Breitling, einer gut 500 Hektar großen natürlichen Verbreiterung der Warnow vor ihrer Mündung in die Ostsee. Seit 15 Jahren drehen sich die Rotoren der ersten deutschen Offshore-Windkraftanlage mit einer Leistung von 2,5 Megawatt.
Am 15. Februar 2006 wurde sie in Betrieb genommen. Bei Hafenrundfahrten ist der Besuch der Anlage Pflicht.
Seitdem hat sich viel getan bei der Windenergie auf See – in Partystimmung ist die Branche aber nicht. Nach Branchenangaben waren Ende des Jahres 2020 rund 1501 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von 7770 Megawatt in Betrieb – im europäischen Vergleich belegt Deutschland damit den zweiten Platz hinter Großbritannien.
Der Anteil der Offshore-Windenergie an der Bruttostromerzeugung liegt nach Angaben des Energieverbandes BDEW bei rund fünf Prozent. Insgesamt tragen die erneuerbaren Energien rund 45 Prozent zur Stromerzeugung bei, der Hauptanteil kommt von Windrädern an Land.
„Die Offshore-Windenergie hat sich in den letzten Jahren zu einer der tragenden Säulen der Energiewende entwickelt“, erläutert der Geschäftsführer des Bundesverbands der Offshore-Windparkbetreiber, Stefan Thimm. Als erneuerbare Energiequelle mit hohen Volllaststunden sei sie als verlässlicher und preisgünstiger Stromlieferant nicht mehr wegzudenken. „Umso bedauerlicher ist die momentane Situation der Branche in Deutschland. Wir befinden uns aktuell in einer Ausbaulücke.“ Grund sei eine Reduktion der Ausbauziele im Jahr 2014.
Davon war im Herbst 2005 vor Rostock noch keine Rede, als die Fundamentarbeiten in nur zwei Meter Wassertiefe begannen. Material und Arbeiter mussten mit Schiffen zur Baustelle transportiert werden. Nie zuvor war in Deutschland eine Windkraftanlage unter solchen Umständen errichtet worden: „Unter Verhältnissen, die mit denen draußen vor der Küste absolut vergleichbar sind“, sagt der damalige Chef des Rostocker Windkraftanlagen-Herstellers Nordex, Thomas Richterich. Vier Millionen Euro investierte Nordex, in der Hoffnung auf ein lukratives Geschäft, zog sich aber im Jahr 2012 wegen der hohen Entwicklungskosten und fraglicher Rentabilität aus dem Offshore-Bereich zurück.
Bisher mussten keine Hauptkomponenten getauscht werden, sagt der Chef des Betreibers Wind-Projekt in Rostock, Carlo Schmidt. Für Anlagen dieser Leistungsklasse sei dies außergewöhnlich. Technisch seien Maßstäbe gesetzt worden, wie etwa ein Hubschrauberlandedeck auf der Gondel für das Absetzen und Aufnehmen von Personal. Dazu gehöre auch der Transformator im Maschinenhaus in 80 Meter Höhe, damit er nicht nass wird. „Die Erwartungen sind voll erfüllt“, sagt Schmidt.
Das würde die Windenergiebranche auch gerne über die Bundesregierung sagen. Zwar wurden in der kurz vor Jahresende beschlossenen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Ausbauziele auch bei der Windenergie auf See erhöht, und zwar um fünf auf 20 Gigawatt für das Jahr 2030 sowie 40 Gigawatt für 2040. Aufgrund der langen Vorlaufzeiten bei der Netz- und Parkplanung sollen die zusätzlichen Parks laut Thimm aber erst in den Jahren 2029 und 2030 ans Netz gehen.
Die schwarz-rote Koalition will im ersten Quartal darüber verhandeln, wie die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien weiter erhöht werden können, Hintergrund sind unter anderem verschärfte EU-Klimaziele. Thimm fordert, es müssten zusätzliche Potenziale vor allem im Küstenmeer gesucht werden, um die Auswirkungen der „Ausbaulücke“ aufzufangen und einen gleichmäßigen Ausbaupfad sicherstellen. Konflikte um die Nutzung der Flächen auf See durch Schifffahrt, Marine und Naturschutz müssten pragmatisch gelöst werden.