Jazzgigant kommt nach Düsseldorf So klingt der Lockdown auf dem Jazzklavier

Düsseldorf · Der Pianist Brad Mehldau, Gralshüter der amerikanischen Jazzklavier-Tradition, gastiert am 3. Mai in der Tonhalle.

Der Jazzpianist Brad Mehldau.

Foto: David Bazemore/Heinersdorff

In dem 51-jährigen Brad Mehldau ist am 3. Mai einer der Gralshüter der großen und melancholischen amerikanischen Jazzklavier-Tradition in der Tonhalle zu Gast. Wenn man ihn spielen hört, dann scheinen ihm Bill Evans und Keith Jarrett auf den Schultern zu sitzen und ab und zu sanft die Hände zu führen. Manchmal schaltet sich Oscar Peterson ein, aber nicht der Oscar Peterson, der in rasenden Läufen Virtuosität und technisches Raffinement ausstellt, sondern der hemmungslos Sentimentale, der für die Sehnenden, Schmachtenden und Liebenden spielt.

Wie viele andere Musiker hat Brad Mehldau die Phase des strikten Lockdowns im Frühjahr 2020 genutzt, um ein Album aufzunehmen. Und eigentlich können viele Menschen die in dieser Zeit entstandene Musik gerade nicht mehr hören, weil sie mit dem Thema nichts mehr zu tun haben und endlich nach vorne schauen wollen. Das ist bei Mehldaus Album, das schlicht „Suite: ­April 2020“ heißt, anders. Die kurzen Solo-Klavier-Stücke sind einerseits nah am Gefühl dieser Zeit und machen es wieder greifbar.

Brad Mehldau ist ein
enorm vielseitiger Musiker

Es reicht, sich einmal eine Minute und 14 Sekunden Zeit zu nehmen und das Eröffnungsstück „Waking Up“ („Aufwachen“) anzuhören: Aus ihm tönen die Verwunderung ebenso wie die Verzagtheit ob der merkwürdigen, beängstigenden und lähmenden Situation des Lebens im Lockdown während einer Pandemie. Und am Ende gibt es auch musikalisch doch den Ruck, den Motivationsschub, den Tag anzupacken, etwas aus ihm zu machen, etwas von ihm zu erfahren.

Auch bei Stücken wie „Keeping Distance“ („Abstand einhalten“) oder „Remembering Before All This“ („Erinnerungen an die Zeit vor all dem hier“) ist einerseits der konkrete Hintergrund der Kompositionen klar erkennbar. Aber andererseits weisen sie eben auch weit darüber hinaus. Sie sind Miniaturen aus dem modernen Leben – lyrisch und von einer einfachen, zeitlosen Kraft wie Robert Schumanns „Kinderszenen“.

Nach zwölf Eigenkompositionen endet das Album mit Jazzversionen populärer Songs wie „New York State of Mind“ von Billy Joel. Brad Mehldau kehrt hier also wie viele Menschen im Lockdown zum lang Bekannten zurück, sucht und findet darin Trost. Aber er tut auch, was er schon auf vielen Solo- und Trio-Alben gemacht hat: Popsongs (etwa von den Beatles, Radiohead oder Nick Drake) zu neuen Jazzstandards verwandeln. Dadurch wurde er berühmt und einer der populärsten Jazzpianisten der Zeit.

Ein anderes ist seine enorme Vielseitigkeit: Neben dem Solo- oder Trio-Werk, das tief in der Jazztradition verwurzelt ist (glücklich, wer ihn jemals live im Trio „My Favo­rite Things“ als tiefe Verbeugung vor John Coltrane hat spielen hören), treibt er kontinuierlich auch komplett andere Projekte voran. 2014 nahm er mit dem Schlagzeuger Mark Guiliana als „Mehliana“ ein irrlichterndes, irre groovendes, elektronisches Werk auf.

2017 beschäftigte er sich auf dem Soloalbum „After Bach“ mit Bachs Wohltemperiertem Klavier und spielte im Duo mit dem unglaublich begabten Mandoline-Spieler, Sänger und Songwriter Chris Thile wunderschöne Songs zwischen Folk, Country und Pop ein. Manchmal treibt er es aber auch zu weit, und so erschien zuletzt mit „Jacob’s Ladder“ ein überladenes Progressive-Rock-Album, auf dem er selbst an verschiedenen Instrumenten ­experimentiert.

Das Publikum wird in der Tonhalle die Essenz der Kunst Mehldaus erleben: den Pianisten allein am Flügel, der einige seiner Lockdown-Kompositionen spielen wird, doch auch zeitlose Popsongs, die unter seinen Händen zu Jazzstandards werden.