Die Tänzer der „Soli-Cuts Urban“ zeigten auf dem Barmer Werth eine Performance an ungewöhnlichen Orten Rätselwelten im Schaufenster

Sie schwimmt im grellgrünen Scheinwerferlicht mit schwerelosen Flossenschlägen, das Fernglas vor ihren Augen versunken ins Irgendwo gerichtet. In der Schaufensterscheibe, die Tänzerin und Publikum trennt, spiegeln sich maskierte Gesichter und verschränkte Arme.

Farbenfrohe Performances hinter Schaufensterscheiben zogen die Blicke vieler Passanten des Barmer Werths auf sich.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Der Schwimmerin im grünen Bodysuit folgt eine andere, die mit schwingendem Silberrock durch die Leere irrlichtert, mit weiten, raumgreifenden Bewegungen, getrieben von einer unsichtbaren Energie, während die Schwimmerin Zimmerpflanzen in der verwaisten Schaufensterauslage dekoriert, Körbe mit blauen Hortensien, zum Herz verflochtene Efeuranken.

Als die ehemaligen Pina-Bausch-Tänzer Thusnelda Mercy und Pascal Merighi im April mit ihrer Kompanie „merighi | mercy“ mitten im Lockdown die Tanz Station im Barmer Bahnhof gründeten, war an Auftritte vor Publikum nicht zu denken.

Zuschauerprozession
durch die Fußgängerzone

Als Ort für große Ideen hatten sie die Tanz Station geplant, Projekte sollten dort entstehen, die Tanz mit Musik, Literatur oder Architektur verbinden. Nun mussten sie erst einmal Wege finden, ihre Kunst überhaupt vor ein Publikum zu bringen. Und inszenierten statt Bühnenstücken die „Soli Cuts“, gefilmte Improvisationen von 15 Tänzerinnen und Tänzern, jede und jeder allein in der Weite des Bahnhofsraums. Ein Zusammenschnitt der Filmsequenzen ist seit Mai als Videoinstallation in der Barmer Fußgängerzone zu sehen.

An diesem Spätsommernachmittag auf dem Barmer Werth wird aus der digitalen Präsentation eine Live-Performance hinter Leerstandsfassaden: In einem halben Dutzend verwaister Ladenlokale tanzen die Künstler ihre Soli. Aus der Leerstandstristesse wachsen farbig illuminierte Rätselwelten, in leuchtendes Gelb, Rot, Blau getauchte Szenen, wenige Minuten lang. In einem verlassenen Reisebüro, einem ehemaligen Elektronikmarkt. Eine abenteuerliche Aktion sind die „Soli-Cuts Urban“, sagt Thusnelda Mercy, und einzigartig, etwas, das so an diesem Ort nur dieses eine Mal zu sehen ist, jede Performance eine  Momentaufnahme mit eigens entwickeltem Sound.  Von zwei vorangetragenen Boomboxen geleitet zieht die Zuschauerprozession durch die Fußgängerzone, vorbei an Änderungsschneiderei und Afroshop, an kinderwagenschiebenden Kleinfamilien und tabletttragenden Café-Kellnern. Begleitet von Blicken, überraschten, fragenden, befremdeten.

Zufallspublikum wippt
mit den Füßen zum Beat

Vor, hinter, neben dem Publikum, das zur Führung über den Tanzparcours gekommen ist, finden sich an jeder Station Zufallszuschauer ein. Tauchen ab in dunkle Hauseingänge, um die Auftritte per Handy mitzufilmen, wippen mit den Füßen zum Beat, löffeln ungerührt Eisbecher leer. Thusnelda Mercy freut sich über jeden Passanten, der stehenbleibt, jeden flüchtigen Kommentar im Vorbeigehen.

 „Man muss Menschen mit anderen Dingen konfrontieren“, findet die Kompanieleiterin, und sie vor allem endlich wieder zusammenbringen, mit Kunst. Als hungrig hat die Tänzerin ihre Kollegen im Lockdown erlebt, hungrig nach Bühne, Publikum, nach Leben. Mit den „Soli-Cuts Urban“ ist all das zurückgekehrt, am unwahrscheinlichsten aller Orte: Es leuchtet wieder hinter leeren Schaufenstern, eine Kunstpause lang.