Herr Pörksen, weshalb ist Medienmündigkeit zur
Existenzfrage der
Demokratie geworden?
Interview mit Bernhard Pörksen Medienkompetenz als Schulfach
Kaarst. · Der Professor für Medienwissenschaft ist im Zuge der VHS-Reihe „Dialog Zukunft“ in Kaarst zu Gast.
Die Coronavirus-Pandemie legt auch den Finger in die Problematik der Falschnachrichten, Panikreaktionen und Fakes versus Fakten und seriöser Berichterstattung. Nicht zuletzt haben das auch die Demonstrationen der Corona-Leugner in Berlin oder Stuttgart gezeigt. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, untersucht in seinem Vortrag im Rahmen der Reihe „Dialog Zukunft“ der VHS Kaarst-Korschenbroich die Macht der Desinformation im digitalen Zeitalter. Im Interview spricht er darüber, wie man Falschmeldungen erkennt und über seine Idee für ein Schulfach Medienkompetenz.
Bernhard Pörksen: Weil wir erleben, in welchem Maße sich Verschwörungstheorien, Falschnachrichten und bizarre Gerüchte verbreiten, gerade in Zeiten der Coronavirus-Pandemie. Der Blick in die USA zeigt: Man kann den demokratischen Prozess und das soziale Miteinander durch Desinformation gefährden. Menschen brauchen sauberes Wasser, freie, demokratische Gesellschaften brauchen saubere Informationen!
Welche Tipps haben Sie, mit der täglichen
Informationsflut echter und falscher Nachrichten
umzugehen?
Pörksen: Drei Tipps, die Friedemann Schulz von Thun und ich in unserem Buch über „Die Kunst des Miteinander-Redens“ noch genauer ausführen. Erstens: Es braucht Quellenbewusstsein. Wir müssen einschätzungsfähig werden. Woher stammt die Information? Ist die Quelle anerkannt und seriös oder nicht? Zweitens: Nötig ist die Uralt-Tugend der Skepsis, um sich vom Reflex des „kommentierenden Sofortismus“ zu befreien. Muss ich sofort weiter leiten, posten und kommentieren, was mich selbst gerade erst erreicht hat? Drittens ist es zentral, die Informationsflut zu dosieren: Wie gelingt eine gute Mischung aus Anteilnahme am Weltgeschehen und abgrenzungsfähiger Auswahl?
Sie fordern ein Schulfach Medienkompetenz. Wie lässt sich das durchsetzen?
Pörksen: Die Durchsetzung wird schwierig, das zeigen von mir mit den Ministerien geführte Gespräche. Die laufende Medienrevolution ist in ihrer Wirkung vergleichbar mit der Erfindung der Schrift oder des Buchdrucks. Ein paar Zusatzseminare reichen nicht. Ein Schulfach wäre der richtige Ort, um die Macht der Medien zu begreifen und um sich damit auseinanderzusetzen, wie die Kunst des Miteinander-Redens unter neuen Kommunikationsbedingungen gelingt: Was ist sinnvolles Argument, was nur Geschrei und Pöbelei?
Wer soll das Fach
unterrichten?
Pörksen: Dafür braucht es eigens geschulte Lehrerinnen und Lehrer. Man muss man auf der Ebene des Studiums und der Lehrerausbildung ansetzen, hier geschieht leider zu wenig.
Wie lässt sich der etablierte Journalismus stärken?
Pörksen: Das Wegbrechen von Anzeigen- und Werbemärkten führt zu einer Umschichtung in Richtung digitaler Giganten. Mit publizistischem Dreck lässt sich viel Geld verdienen, aber guter Journalismus kostet auch Geld. Die Frage lässt sich letztendlich nur gesamtgesellschaftlich beantworten. Es braucht politischen Willen und Medienmündigkeit in der Breite der Gesellschaft.
Wie kann jeder sein
persönlicher journalistischer
„Torhüter“ werden?
Pörksen: Wir sind alle zu Sendern geworden. Ein passives Publikum gibt es nicht mehr. Wir leben in einer Zeit, in der die Grundfragen des guten Journalismus zu einem Element der Allgemeinbildung werden müssen.
Lässt sich die Entwicklung der modernen „nervösen“ Berichterstattung in
Echt-Zeit und ständigen
Sondersendungen überhaupt noch zurückdrehen?
Pörksen: Da gibt es kein Zurück!
Wenn es das nicht gibt, wie sollen wir dann damit umgehen?
Pörksen: Deshalb ist die Schulung des Einzelnen so entscheidend geworden: Der Umgang mit und die Auswahl von Informationen ist heute eine Schlüsselkompetenz.