„Hersteller müssen den stationären Einzelhändlern helfen“
IHK-Kreisgeschäftsführer Andree Haack spricht über die Konkurrenz, die Online-Shops den Ladengeschäften machen.
Herr Haack, der stationäre Einzelhandel klagt über die wachsende Online-Konkurrenz. Amazon ist der große Herausforderer. Auf welche Entwicklungen müssen sich die Einzelhändler einstellen?
Andree Haack: Der Online-Handel bereitet gerade den nächsten großen Schritt vor, und auch da ist Amazon wieder führend. Das Unternehmen entwickelt seine eigenen Serien- und Filmformate und plant den nächsten Schritt. Da trägt der Held im Film dann zum Beispiel eine Uhr oder ein T-Shirt, und der Kunde kann sich das Produkt bequem vom Sofa aus bestellen. Das geht ganz einfach per Sprachsteuerung über die Alexa-Box. Der Kunde muss nicht mal vom Sofa aufstehen.
Mit Alexa steht die Verkäuferin also sozusagen direkt im Wohnzimmer.
Haack: So kann man es sagen. Was der Online-Handel aber über Film- und Serienformate vor allem schafft, ist eine Emotionalität, die er bislang im Internet nicht herstellen kann. Jeder fiebert mit den Helden im Film mit — und es wird ganz einfach, sich genauso zu kleiden oder die gleiche Sonnenbrille zu tragen.
Was soll der Einzelhandel dem entgegenhalten?
Haack: Der kleine Händler ist bei solchen Angeboten mit seinem Geschäft überfordert. Da hilft auch kein Online-Shop, der sich ja auch nicht so leicht erfolgreich betreiben lässt, wie es oft in der öffentlichen Diskussion den Anschein hat. Große Konzerne wie Kaufhof, Rewe oder Saturn haben da andere Möglichkeiten. Aber was den normalen stationären Einzelhandel angeht: Da bedarf es der Unterstützung durch die Hersteller von Produkten. Es gibt schließlich eine Reihe innovativer Konzepte für den Einzelhandel.
Zum Beispiel?
Haack: An der Tannenstraße in Düsseldorf gibt es mit „Exp37“ ein Kreativlabor, das Händlern Lösungen für die Verknüpfung von Online und Offline bietet. Das fängt beim sogenannten Smart Tray an, einem Tablett, auf das man zum Beispiel einen Gürtel legt und automatisch Vorschläge bekommt, welche Hose, welches Hemd und welche Schuhe dazu passen. Oder nehmen wir den „Intelligent Mirror“. Dabei handelt es sich um einen Spiegel, der es nicht nur erlaubt, sich virtuell anzuziehen, sondern der auch passende Hosen und andere Waren, die es im jeweiligen Geschäft gibt, einblenden kann. Es gibt aber noch viele weitere spannende Ansätze.
Woran scheitert es, dass es bislang bei Ansätzen bleibt?
Haack: Die Hardware können die Händler anschaffen, das wäre vermutlich nicht das Problem. Aber sie brauchen auch alle Daten, zum Beispiel zu Hosen, Hemden und anderen Produkten. Da sind die Hersteller gefragt, die diese Daten aufbereiten und den Händlern zur Verfügung stellen müssen.
Was muss noch getan werden, damit die Innenstädte weiterhin frequentiert bleiben?
Haack: Wenn man ehrlich ist, sind viele Innenstädte gar nicht mehr so attraktiv. Das liegt gar nicht an den Einzelhändlern, sondern auch an Immobilieneigentümern und der Politik. Bei der Wahl von Mietern sollten Immobilieneigentümer auch langfristig denken und nicht einfach den nächstbesten Filialisten nehmen, weil der am meisten zahlt. Es muss auf die Qualität des Angebots in einer Innenstadt geachtet werden. Innenstädte brauchen Alleinstellungsmerkmale.
Was muss die Politik tun, damit das gelingt?
Haack: Langfristig denken und nicht durch Flächenverkäufe nur kurzfristig den Haushalt verbessern. Auf Neuss und die Entwicklung rund um das Hammfeld blicken wir als Industrie- und Handelskammer zum Beispiel mit großer Sorge.
Inwiefern?
Haack: Dort kam zunächst das Rheinparkcenter mit 34 000 Quadratmeter Verkaufsfläche hinzu, dann Höffner mit 45 000. Jetzt sollen noch Sconto und Stadler mit 8000 beziehungsweise 6000 Quadratmeter folgen. Das wären in der Summe gut 90 000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Zum Vergleich: Die Neusser Innenstadt hat eine Verkaufsfläche von 57 000 Quadratmeter. Für die Einzelhändler in der Innenstadt ist diese Entwicklung eine immense Herausforderung.
Welche Strategie muss der stationäre Einzelhandel entwickeln?
Haack: Er muss Mut haben, neue Dinge auszuprobieren. Zugleich bedarf es der Unterstützung durch Politik, Hersteller und Immobilienbesitzer. Letztere sind auch mit Blick auf den Zustand vieler Gebäude gefragt. Es ist eine Investition in die Zukunft. Unterm Strich steht allerdings: Gut 70 Prozent des Umsatzes werden in vielen Branchen immer noch im stationären Einzelhandel gemacht. Der Wettbewerb ist also nicht nur Online gegen Offline, sondern der Wettbewerb ist immer noch einer der Standorte. Und hier wird nur erfolgreich sein, wer durch Branchenmix, Aufenthaltsqualität und Individualität überzeugt. Die Stadt Neuss bietet da beste Voraussetzungen.