Junge Flüchtlinge lernen den Alltag

33 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben in Meerbusch. An der Fröbelstraße gibt es eine neue Unterkunft. Dort lernen sie die Sprache, Kochen und das Mülltrennsystem.

Foto: Ulli Dackweiler

Früher befand sich in dem kleinen Nebenhaus der Barbara-Gerretz-Schule eine Radiowerkstatt, dann zog eine Spielgruppe der VHS dorthin. Seit gut einer Woche teilen sich sieben 16- und 17-jährige Jugendliche aus Afghanistan und Syrien die zwei Schlafzimmer an der Fröbelstraße. „Wir haben Kapazitäten für bis zu zehn Jugendliche“, sagt Jugendamtsleiter Peter Annacker. Insgesamt leben 33 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Meerbusch, alle unter der Obhut des Jugendamts.

Berit Sonnenburg von den Johannitern, die das Haus betreiben

Wenn die Flüchtlinge aufgegriffen werden, muss zunächst ihr Alter geklärt werden. Das geschieht in der Regel durch Interviews, Ausweispapiere findet man selten bei den Ankömmlingen. „Sie machen eigene Angaben zum Alter. Wir vergleichen diese dann mit ihrer Persönlichkeitsstruktur, ihrem Fluchtbericht und der Herkunft“, sagt Annacker. Finden sich keine gravierenden Unstimmigkeiten, schenkt man den gemachten Angaben Glauben.

Die Jugendlichen, die an der Fröbelstraße leben, befinden sich noch in keiner „Anschlussverwendung“, wie es heißt. Am 17. Mai wird ihre Schulfähigkeit festgestellt, vorher war kein Termin zu bekommen.

Ali Rezaie kommt aus Ghazni im Osten Afghanistans. Immer wieder ist die Provinz Schauplatz von Anschlägen und Kämpfen. Im vergangenen Jahr befreiten Taliban dort Hunderte Insassen eines Gefängnisses, erst im April wurden vier Militante in Gefechten mit der Armee getötet. Alis Familie floh in den Iran, für den 16-Jährigen ging es von dort aus zu Fuß weiter. Über die Türkei und die Balkanroute nach Österreich, schließlich nach Deutschland. Zwei Jahre lang brauchte er dafür, jetzt sitzt Ali in einem kleinen Raum. Betrieben wird das Haus von den Johannitern, rund um die Uhr ist mindestens ein Mitarbeiter vor Ort.

An der Fröbelstraße schellt der Wecker um 7.45 Uhr. Ein Bewohner ist für das Frühstück eingeteilt, einer fürs Abendessen. Zwei Flüchtlinge kümmern sich um das Mittagessen, das jeden Samstag in der gesamten Gruppe abgesprochen wird. „Es wird zunächst natürlich anders gekocht als bei uns typisch. Anfangs wurde fast alles frittiert — das haben wir aber geändert“, sagt Berit Sonnenburg von den Johannitern. „Spinat, Kartoffeln und Eier sind jetzt der Hit“, sagt sie. Die Jugendlichen versorgen sich im Prinzip selbst, auch geputzt und aufgeräumt wird eigenhändig. „Sogar die deutsche Mülltrennung lernen sie“, sagt Sonnenburg.

Zweimal täglich kommen Mitarbeiter von educura vorbei — die Organisation kümmert sich um das sogenannte Clearing der Jugendlichen, um die pädagogische Betreuung. Welche traumatischen Erlebnisse haben die Minderjährigen auf ihrer Flucht durchlebt, bei wem gibt es weitergehenden Behandlungsbedarf? Und: erster Deutschunterricht. „Die Jugendlichen fordern ganz aktiv ein, lernen zu können“, sagt Sonnenburg. Ali zeigt eines seiner Deutschhefte, jede Seite dicht beschrieben. Erst musste er das lateinische Alphabet lernen, jetzt geht es an die Vokabeln. Seit vier Monaten ist er in Deutschland, Gespräche mit den Betreuern führt er ausschließlich auf Deutsch.

Dabei geht es zum einen über die Flucht oder über Verwandte, die zurückgelassen wurden. „Die Jugendlichen haben Bilder auf ihrem Handy, da muss man manchmal schlucken“, sagt Sonnenburg. Zum anderen aber auch um Dinge, die Jugendliche eben so interessieren. Fußball zum Beispiel. Für Ali muss es der FC Barcelona sein — und dort natürlich Lionel Messi. „Ich liebe Sport“, sagt er. Oder Berufswünsche: In Zukunft würde er gerne mit Computern arbeiten.

Wenn der 16-Jährige volljährig wird, muss er sich aber erst einmal einem anderen Prozedere stellen. Dann geht es für die Flüchtlinge in das Asylverfahren, in dem entschieden wird, ob sie bleiben dürfen oder abgeschoben werden. Bis dahin will Ali noch viel lernen, wie er sagt. Ob er dann bleiben will und darf, ist offen.