Geschichte in Meerbusch Die Geschichte jüdischer Familien als Comic
Büderich · Die Erlebnisse von Herbert Rubinstein sind in einer Graphic Novel nachzulesen. Der Zeitzeuge war Gast beim Projekttag im Mataré.
Wenn man fliehen und alles hinter sich lassen muss, was nimmt man da mit? Für Herbert Rubinstein ist die Antwort klar, er tippt auf seinen Kopf. „Lernen, Bildung, Sprache.“ Als er mit seiner Familie als Kind vor den Nazis aus Czernowitz in der heutigen Ukraine flüchtete und sie sich später in Düsseldorf ein neues Leben aufbaute, da half der Familie, dass sie Deutsch sprach. Herbert Rubinstein baute dann zusammen mit anderen Juden in Düsseldorf die jüdische Gemeinde auf. Bei den Projekttagen der Q1 am Mataré-Gymnasium berichtete der 87-Jährige nun als Zeitzeuge über seine Erlebnisse. Diese sind auch in einer Graphic Novel nachzulesen. Der Titel: „Blindekuh mit dem Tod – Kindheitserinnerungen von Holocaust-Überlebenden aus Czernowitz“.
Die deutsche Übersetzung aus dem Ukrainischen ist in der Edition Virgines erschienen und liegt erst seit einigen Tagen vor. „Das Mataré-Gymnasium ist die erste Schule in Deutschland, die damit arbeiten kann“, erklärte Geschichtslehrer Oliver Tauke, der den Projekttag koordiniert hatte. Die Handlung der Graphic Novel basiert auf den wahren Lebensgeschichten von vier jüdischen Kindern aus Czernowitz, eines davon war Herbert Rubinstein.
Er bestritt beim Projekttag einen von insgesamt vier Workshops für die Schüler unter dem Motto „Erinnerung lernen – Tracks of Memory“. Mit den Möglichkeiten einer Erinnerungskultur in deutsch-ukrainischen Städtepartnerschaften beschäftigte sich der Workshop von Matthias Richter von der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Die Landeshauptstadt ist seit dem Krieg in der Ukraine eine Städtepartnerschaft mit Czernowitz eingegangen. Um junges jüdisches Leben in Deutschland ging es in einem Workshop von Katja Kuklinski. In der Sporthalle gab es einen Workshop mit Makkabi Deutschland, dem Verband der jüdischen Sportvereine. Drei Bildungsreferenten hatten für die Schüler sportliche Spiele mit Quizfragen zur jüdischen Geschichte und Kultur kombiniert. Mit einer Mini-Maccabiah bietet der Verband Schulen, Vereinen und Jugendeinrichtungen integrative Projekte an.
Rubinstein erlebte Deportation und Ermordung von Menschen mit
Der Austausch über Geschichte ist Herbert Rubinstein ein dringendes Anliegen. Nachdem er 71 Jahre lang nicht mehr in seinem Geburtsort Czernowitz war, besuchte er 2017 die Stadt in der Ukraine. „Meine Tochter hatte mich überzeugt“, erzählt der 87-jährige Düsseldorfer. Er habe immer so wenig von seiner Kindheit erzählt. „Wir wissen zu wenig von unserer großen Familie“, fand sie. Gemeinsam reisten sie auf den Spuren der Ahnen, besuchten die Gräber der Verstorbenen, die die Tochter nie kennengelernt hatte.
Von den vier Menschen in der Graphic Novel, deren Geschichte erzählt wird, leben heute zwei nicht mehr. Eines Tages wird es keine Zeitzeugen mehr geben. „Wir brauchen die jüngere Generation“, sagt deshalb Herbert Rubinstein. Mit der Graphic Novel die Geschichte der Holocaust-Überlebenden zu vermitteln sieht er als „kleinen Weg, den wir gehen können“. Als Kind erlebte er, wie seine und andere jüdischen Familien ihre Häuser verlassen mussten, ins Ghetto geschickt wurden, auch die Ermordung von Menschen hat er damals miterlebt. „Wir waren auf einmal keine Menschen mehr.“ Und er wendet sich eindrücklich an die Schüler: „Was mir geschehen ist, kann jedem von euch geschehen.“ Im Nachhinein, findet Rubinstein, habe er seinen Kindern zu wenig von der Geschichte erzählt: „Institutionen können viel besser vermitteln als die Familien.“ Ein Grund, warum er sich neben seiner Firma für Damengürtel gesellschaftlich engagiert hat: bei der jüdischen Gemeinde, aber auch im Düsseldorfer Stadtrat.
„Warum sind Menschen so gewalttätig?“, mit der Frage hat er sich lange beschäftigt. Diskriminieren, mit dem Finger auf andere zeigen, das hat keinen Wert. „Fang erst einmal bei dir selber an: Warst du ungerecht?“. Die heutige Freiheit in Deutschland, die vielen offenen Grenzen habe er sich in seiner Jugend nicht träumen lassen. Wenn die AfD in Umfragen auf 19 Prozent kommt, „dann stimmt etwas nicht“. Er findet: „Die junge Generation sollte aufpassen, dass sie nicht schuldig wird.“ Und dabei möchte er sie unterstützen.