Gesundheit Covid-19: Mangel an Reha-Plätzen

Osterath. · Der Leiter der Meerbuscher Therapieklinik kritisiert eklatanten Mangel: Es hängt auch vom Wohnort ab, ob man gesund wird.

In der St. Mauritius-Therapieklinik werden das Krankenhaus und die Rehaklinik kombiniert. Professor Stefan Knecht ist der Chefarzt.

Foto: Ja/Anne Orthen (ort)

Ob Menschen nach einer schweren Corona-Infektion wieder gesund werden oder nicht, hängt offenbar auch vom Wohnort ab. „In Nordrhein-Westfalen stehen ihre Chancen jedenfalls deutlich schlechter als beispielsweise in Bayern“, kritisiert Stefan Knecht, Chefarzt der St. Mauritius-Therapieklinik in Meerbusch. Viele ältere Patienten seien so krank, dass sie nach einem Krankenhausaufenthalt über lange Zeit in spezialisierten Reha-Zentren behandelt werden müssten. Doch nach Einschätzung von Experten wird dort die Situation von Woche zu Woche dramatischer: Die Betten sind ohnehin knapp, die Wartelisten lang.

St. Mauritius ist eines der wenigen Behandlungszentren in Nordrhein- Westfalen, das beides kombiniert: Krankenhaus mit neurologischer Intensivmedizin und Rehaklinik. Hier werden auch schwerstkranke Covid-Patienten behandelt, deren Leben vorher auf der Intensivstation einer Klinik zwar gerettet wurde, „aber danach sind sie noch lange nicht gesund“, so Stefan Knecht. Denn Beatmungsmaschinen, Luftröhrenkanülen und andere Apparate der Intensivmedizin würden die Muskeln für Atmung, Schlucken und die Kontrolle über Bewegungen lahmlegen. Dauert die Beatmung länger als vier oder fünf Tage, kommen dann noch Entzündungen oder Stoffwechselstörungen hinzu, dann verkümmern die Muskeln. „Selbst wenn die akute Erkrankung beherrscht ist, kann man die Apparate ja nicht einfach abschalten“, so Knecht.

Die einzige Chance dieser Schwerstkranken sei eine spezielle Behandlung, die als Neurofrühreha bezeichnet wird. Was sich hinter diesem Begriff verbirgt, ist Alltag in der Meerbuscher Klinik: Dort können Covid-Patienten weiter intensivmedizinisch behandelt werden – mit Beatmung oder Infusion. Auch werden Bauch- und Blasensonden angelegt, Verschleimungen in der Luftröhre abgesaugt. Parallel dazu aber holt man diese Patienten aus dem Bett, entwöhnt sie ganz allmählich von den Apparaten, bringt sie auf diese Weise Schritt für Schritt zurück ins Leben. „Bei Schwerstkranken muss man sich das trauen. Das geht nur mit viel Erfahrung, ständiger Kontrolle von Blutdruck und Herzschlag sowie einfühlsamen Therapeuten.“

Stefan Knecht schildert diesen langwierigen Prozess am Beispiel eines Kollegen (58), Arzt in einem Krankenhaus, der täglich Covid-Patienten behandelt hat „und dabei wahrscheinlich eine hohe Viruslast abbekam“. Er hatte zunächst Grippesymptome, dann verschlechterte sich sein Zustand rapide, er kam auf die Intensivstation, musste beatmet werden. Nach sechs Wochen wurde er ins Meerbuscher Therapiezentrum verlegt. „Wir haben ihn erst aus dem künstlichen Koma geholt, dann von den Maschinen entwöhnt“, erläutert Knecht. Heißt: Der Patient musste nicht nur wieder selbstständig atmen, sondern auch das Schlucken wieder erlernen. Auch eigenständig husten zu können, was bei Gesunden unbewusst funktioniert, ist in dieser Phase nicht selbstverständlich. „Störungen führen schnell zu einer Lungenentzündung.“

Experte nennt Lage
in NRW „besorgniserregend“

Auch danach habe der 58-Jährige noch einen langen Weg vor sich. Ziel dieser intensiven Reha sei es, dass er ohne Hilfe aus dem Bett kommt, allein zur Toilette gehen, sich selbst waschen und allein essen und trinken kann. Und vielleicht bald wieder das Treppensteigen bewältigt. „Wir bauen die eingeschmolzenen Muskeln wieder auf“, erläutert der Chefarzt.

Dabei hatte der Patient Glück, einen dieser raren Therapieplätze zu bekommen. Denn nach Einschätzung der Landesarbeitsgemeinschaft Neurorehabilitation NRW, dessen Sprecher Stefan Knecht ist, ist die Situation in NRW im Vergleich zu anderen Bundesländern besorgniserregend. Von rund 1000 Therapieplätzen mit Beatmungsmöglichkeit in ganz Deutschland, seien nur 50 in NRW. „Dabei leben hier 20 Prozent der Bevölkerung“, so Knecht. Nach seiner Einschätzung müssten es aber wenigstens 250 solcher Therapieplätze sein, um das Versorgungs-Niveau anderer Länder wie Baden-Württemberg oder Bayern zu erreichen. Für den Mediziner ist die derzeitige Situation jedenfalls nicht akzeptabel: „Wir haben in NRW eine gute Intensivmedizin, aber sie bringt nichts, wenn wir die Versorgungskette auf der letzten Meile plötzlich abbrechen lassen.“ Viele Patienten, die vergeblich auf einen Therapieplatz warten, würden dann in so genannten Beatmungs-WG untergebracht, „in denen sie meist nicht mehr von den Maschinen wegkommen“.

Von der Politik fühlt sich die Landesgemeinschaft ignoriert. Sie fordert, die Klinikplanung in NRW zu nutzen, um Kapazitäten aufzustocken, neue Zentren zu eröffnen. Denn es dürfe nicht vom Zufall des Wohnorts abhängen, wie umfassend Schwerstkranke versorgt würden. Fazit: „In dieser Hinsicht ist NRW noch Entwicklungsland.“