Die Schützen haben am Samstagnachmittag ein besonderes Jubiläum gefeiert: Der Bezirksverband Neuss wurde vor 75 Jahren gegründet. Im Zeughaus, der „guten Stube von Neuss“, war alles versammelt, was im hiesigen Schützenwesen Rang und Namen hat. Dem Bezirksverband gehören 18 Bruderschaften in fünf Städten des Rhein-Kreises Neuss an. Alle waren mit Abordnungen vertreten. Hinzu kamen Bürgermeister und Stellvertretende Bürgermeister sowie Landrat Hans-Jürgen Petrauschke und Kreisdirektor Dirk Brügge.
Oberpfarrer Andreas Süß hatte die Schirmherrschaft übernommen. Er hielt im Zeughaus eine beeindruckende Rede, die fast schon eine Predigt war. Der Musikverein Frohsinn Norf von 1926 unter der Leitung von Alex Sojka ließ immer wieder Schützenklänge ertönen. Auch die Bürgerschützenvereine hatten zur Feierstunde Repräsentanten entsandt, allen voran der Bürgerschützenverein Neuss mit dem Vorsitzenden Martin Flecken.
Bezirksbundesmeister Thomas Schröder begrüßte im Rahmen des Festaktes unter anderem das Bezirkskönigspaar Thomas und Petra Goerdts. Schröder beschrieb Sinn und Zweck der Bruderschaften so: „Das größte Ziel ist es, Heimat zu schaffen und Heimat zu sein.“ Es gehe darum, „das Leben unter dem Kirchturm lebenswert zu gestalten“. Er sprach von einem „Wertekompass, der Sicherheit schafft und Halt bietet“. „Ich bin heute wahnsinnig nervös, das ist heute schon was Besonderes“, verriet der Bezirksbundesmeister. Wenig später bat er Michael Holm auf die Bühne, den Gründer der gleichnamigen Stiftung, von der Kinder und Jugendliche aus armen Familien profitieren. Holm bekam einen Scheck über 1000 Euro überreicht. Der Erlös resultiert aus dem Verkauf der Jubiläums-Pins. Oberpfarrer Andreas Süß dürfte diese Scheckübergabe ausdrücklich begrüßt haben. „Aus der Kraft des Glaubens heraus kann ein Impuls ausgehen, der die Herzen berührt und die Menschen anspricht“, sagte er und ermunterte die Schützen, Menschenfänger zu werden in dem Sinne, wie es einst die zwölf Jünger waren.
Aus Grevenbroich war der neue Vorsitzende des Bundesverbands Robert Hoppe gekommen. Er vertritt rund 400.000 Schützen. Der Diözesanbundesmeister Walter Honerbach appellierte an die Schützen, sich für den christlichen Glauben einzusetzen: „Gemeinschaft, Hilfsbereitschaft und Kameradschaft sind keine leeren Worthülsen.“ Der Landtagsabgeordnete und stellvertretende Bürgermeister Jörg Geerlings verbreitete Optimismus: „Ich bin sicher, dass das Schützenwesen überdauern wird.“ In seiner launigen Ansprache ging Landrat Petrauschke auf die beängstigenden Vorkommnisse in der Welt ein und zog folgenden Schluss: „Trump hätte keine Chance, Mitglied in einer unserer Bruderschaften zu werden.“
Britta Spieß sprach als Leiterin des Rheinischen Schützenmuseums in Neuss. Die Zuhörenden erfuhren, dass es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht einfach gewesen sei, an alte Traditionen anzuknüpfen. Die Bruderschaften hätten es leichter gehabt als die Schützenvereine. Aus so manchem Schützenverein wurde deshalb eine Bruderschaft. Die Genehmigung, wieder Schützenfeste zu feiern, erfolgte im Juni 1947 – sie galt zunächst nur auf Diözesanebene. Die Kulturwissenschaftlerin berichtete darüber, was sich die Schützen hatten einfallen lassen, um das Waffenverbot zu umgehen.
Sind 75 Jahre eine lange Zeit? Britta Spieß erinnerte daran, dass die Bruderschaften zum Teil ganz wesentlich älter sind: „Die Kaarster St. Sebastianus Schützenbruderschaft beispielsweise ist schon 575 Jahre alt.“ Die Wirtschaftswunderzeit habe das Schützenwesen aufblühen lassen: „Feierfreude und Übermut waren ein Gegengewicht zum von Arbeit geprägten Alltag im Nachkriegsdeutschland.“ Ein bisschen Feierfreude und Übermut war am Samstag auch im Zeughaus zu spüren: Bei der Polka „Wir sind wir“ klatschten die Feiernden begeistert im Takt mit.