CDU hat ihre neue Rolle im Stadtrat noch nicht gefunden

Ein Jahr ist Bürgermeister Breuer (SPD) nun im Amt. Die Christdemokraten zeigen sich nicht immer kooperationsbereit.

Neuss. Im Schützenwesen spiegelt sich das gesellschaftliche Leben der Neusser. Von der Bühne begrüßte gestern Morgen Volksbank-Chef Rainer Mellis die Politik-Prominenz unter den mehr als 1100 Biwak-Teilnehmern auf dem Münsterplatz — namentlich Landrat Hans-Jürgen Petrauschke und den Neusser Bürgermeister Reiner Breuer am Tisch der Ehrengäste. Derweil stand Herbert Napp von Freunden und Bekannten umringt in Schützenlust-Uniform vis-á-vis der Bühne und berichtete vom Jubiläumsschützenfest seines Zuges „Novesen“, den er vor 50 Jahren mitgegründet hat. Als Altbürgermeister gibt es für Herbert Napp wieder Zugleben pur.

(Politischer) Alltag herrscht längst wieder in Neuss. Dabei liegt der Machtwechsel noch kein Jahr zurück. Als erster Sozialdemokrat eroberte Reiner Breuer am 13. September 2015 das Neusser Rathaus. Nahezu 70 Jahre lang hatte die CDU zuvor das politische und gesellschaftliche Leben in Neuss geprägt. Dieser bei Wahlen immer wieder erneuerte Bürgerauftrag war auch nicht unverdient. Es lebt sich gut in der Stadt, die sich in Balance zwischen Moderne und Tradition weiß. Die wirtschaftlichen Zahlen sind überdurchschnittlich, in Neuss stehen so viele Menschen in versicherungspflichtiger Arbeit wie noch nie. Steigende Einwohnerzahlen belegen, dass die Stadt auch für junge Familien attraktiv ist.

Darauf darf die CDU stolz sein. Daran hat sich auch nichts geändert, seit Reiner Breuer als Bürgermeister das Sagen hat. Er ist längst als Erster Bürger der Stadt angekommen. Kluge Reden sind ihm gelungen, souverän repräsentiert er seine Stadt und er hat sofort geändert, was er versprochen hatte. Wenn er auf Festlichen Abend oder Golfturnier der Wirtschaftsförderung verzichtet, dann spart er sicherlich Geld, wichtiger ist aber die Botschaft, die er damit sendet: Wir Neusser können auch bescheiden erfolgreich sein. Seine zweite Initiative gilt dem Stadtrat. Der Bürgermeister will Strukturen schaffen, so argumentiert er zumindest, die allen Fraktionen offenstehen. Das stößt vor allem bei der CDU auf Kritik, die sich in ihrer Arbeit behindert sieht.

Die CDU muss sich fortan vermehrt auf ihre eigene Leistungsfähigkeit stützen. Der zweifellos vorhandene kurze schwarze Draht ins Rathaus ist vom roten Bürgermeister durchtrennt worden. Diesen Verlust kann die CDU nur mit verstärkter Arbeit ausgleichen, denn auch die Ratsmehrheit mit den Grünen ist weg.

In dieser Situation verweigert sich die CDU oft dem Bürgermeister. Die Fraktionschefin bleibt Sitzungen des Ältestenrates fern, sie folgt ihm nicht bei der Kaufidee des Bauer & Schaurte-Grundstücks, sie zeigt ihm die kalte Tour-de-France-Schulter. So handelt, wer seinen Part in der neuen demokratischen Rollenverteilung noch nicht gefunden hat. Breuer mag das ärgern, seinem öffentlichen Ansehen schadet es nicht. Er gewinnt, ohne dass er etwas dafür tun muss.