Die Qual der Wahl in Neuss

Schützenfest und Kommunalwahl an einem Tag: Das birgt ungeahnte Komplikationen.

Neuss. Schlechter konnte es für die Stadt einfach nicht laufen. Mit der Verlegung des Kommunalwahltermins auf den 30.August wird Neuss ins Mark getroffen. Traditionell ist Ende August Schützenfest. Und traditionell ist der Sonntag der wichtigste Tag bei diesem größten Schützenfest im Rheinland und dem größten von einem Verein organisierten Fest überhaupt.

Wer geht da noch wählen? Wer macht den Wahlhelfer? Dürfen betrunkene Schützen ihre Stimme abgeben? Kann der Wahlhelfer in Schützenuniform agieren? Fragen, die in Neuss durchaus ernst genommen werden müssen.

Fast 7000 Aktive werden an diesem Wahltag durch die Stadt marschieren - mehrmals. Begutachtet, beklatscht und angefeuert werden sie von tausenden Freunden, Angehörigen und Schaulustigen am Straßenrand. Schließlich strömt ganz Neuss auf die Kirmes und den Festplatz (auf der Rennbahn) mit den großen Zelten. Die Zeiteinteilung in der Stadt beschränkt sich im Sommer schlicht auf "vor Schützenfest" und "nach Schützenfest". Dazwischen ist man "op de Dag".

Das lässt für die Wahlbeteiligung Übles befürchten, deshalb raten alle Parteien - und der einflussreiche Neusser Bürger-Schützen-Verein - nachdrücklich zur Briefwahl. Größere Sorgen aber hat die Verwaltung bei der Suche nach Wahlhelfern. Männer marschieren, Frauen, in den Zügen nicht zugelassen, stehen am Straßenrand. Allen aktiven Schützen hat Bürgermeister Herbert Napp (CDU) ohnehin pauschal eine Freigabe garantiert. So setzt die Verwaltung auf aufrechte Neusser, die ihre Bürgerpflicht über die Schützenfreuden stellen, und die wenigen Fest-Abstinenzler. Und die Erstwähler: In alle weiterführenden Schulen sind Briefe geschickt worden, in denen die jungen Wähler zum Ehrenamt an diesem Tag aufgerufen werden.

1100 Helfer werden gebraucht, 100 fehlen noch. "Das wird noch", meint Herbert Napp, Oberschütze ("das ist weniger als Gefreiter") im Zug "Niederrhein" der Schützenlust, Schützenkönig des Jahres 1980 und an diesem Sonntag im Frack im Dauereinsatz: Der beginnt um 8 Uhr mit dem Treffen im Rathaus, es folgen Festhochamt, Frühstück für Geladene, Abnahme der großen Parade, das Königsmahl, der Nachmittagsumzug in der Kutsche mit dem Königspaar und unmittelbar anschließend der Gang auf die Festwiese.

"Das wird noch", meint auch sein Herausforderer Reiner Breuer (SPD, Grenadier im Zug "Wisse Roeskes"). Er ist fest entschlossen, das Wahlergebnis im Rathaus mitzuverfolgen. Das bedingt eine kürzere Kirmes- oder Festzelt-Zeit, doch liegt das Rathaus fußläufig von beiden Festspielorten. Umziehen muss sich niemand, schließlich seien Frack und Zylinder, Uniform der Grenadiere, angemessen zur Entgegennahme des Ergebnisses. Die Wahlparty aber fällt aus. Schließlich ruft um 20 Uhr die Pflicht beim Grenadierball.

Dann dürfte das Ergebnis feststehen. Siegt der Herausforderer, wird sein Name in den goldenen Becher fürs Königsmahl eingraviert. "Rein theoretisch", sagt dazu der Amtsinhaber knapp. Übrigens: Wahlhelfer können Schützenuniform tragen. Und Schützen dürfen wählen, auch wenn sie betrunken sind.