Dormagen: "Mittelalterliche Zustände"

Werner Rieck von der Freiwilligen Feuerwehr Dormagen erhebt schwere Vorwürfe gegen den Chemiekonzern Ineos.

Dormagen. Der Brand mit den meisten Rettungskräften seit dem Zweiten Weltkrieg im Einsatz - aber Zustände wie im Mittelalter. So lautet das Fazit von Stadtbrandmeister Werner Rieck, der in der Einsatzstelle beim Großbrand der Firma Ineos für die Freiwillige Feuerwehr Dormagen vor Ort war. In der Sitzung des Dormagener Rates am Donnerstagabend wurde erstmals in der Öffentlichkeit bekannt, mit welchen Widrigkeiten die Feuerwehren zu kämpfen hatten.

Werner Rieck übernahm nach der Alarmierung die Einsatzstelle im Chempark, die Chefin der Berufsfeuerwehr, Sabine Voss, koordinierte die Einsatzkräfte über die Technische Leitstelle an der Kieler Straße. Dort lief alles professionell. Anders dagegen in der Einsatzstelle im Werk selbst. "Wir wurden in einen Raum gebracht, in dem lediglich ein paar Tische und Stühle standen", erinnerte sich Rieck an sein Eintreffen in der notdürftig eingerichteten Einsatzzentrale im Werk. Nur ein Telefon habe es in dem Raum gegeben, in dem der Einsatzstab untergebracht wurde. Neben der Feuerwehr Dormagen teilten sich das unter anderem auch die Berufsfeuerwehr Köln und Vertreter von Behörden wie der Bezirksregierung.

Glücklicherweise habe er bei seinem Aufbruch einige Handys und Funkgeräte eingesteckt und konnte so die Kommunikation nach außen einigermaßen sichern. Immer mit der Angst, dass das Netz zusammenbrechen könnte.

Ebenso hätten Karten des Werks und der Unglücksstelle gefehlt. Lediglich eine kleine Übersichtskarte konnte aufgetrieben werden. Die Einsatzleitung habe auch keine Wetterdaten erhalten, aus denen die Windrichtung und eine mögliche Schadstoffausbreitung ersichtlich wurden. "Wir hatten kaum die Möglichkeit der Informationsbeschaffung oder Kommunikation, keine Computer, kein Internet und selbst die Umfeldkamera fiel ständig aus", führte Rieck die Mängelliste fort.

Beschlüsse und Lageberichte mit modernen Medien weitergeben? Keine Chance. Für Werner Rieck, der bei diesem lebensgefährlichen Einsatz die Verantwortung für 378 Retter trug, waren es schwere Stunden. Auch die Informationen, die an die Einsatzleitung herankamen, seien dürftig gewesen: Sie bekamen weder Checklisten noch vorbereitete Notfall-Einsatzpläne, keinen Fernseher, um Nachrichten oder Videoberichte zu sehen und keine Einsicht in die Einsatzprotokolle. Und das, obwohl bei einem Schaden der Stufe 3 die Feuerwehr Dormagen vertraglich mit Ineos zusammenarbeite.

Die nötige Ausstattung wäre vorhanden gewesen, denn die Werkfeuerwehr des Chemparks ist in unmittelbarer Nähe. Doch: "Ineos fühlt sich dem Chempark nicht zugehörig und wollte die vorhandenen exzellenten Möglichkeiten nicht in Anspruch nehme", so Dormagens Bürgermeister Heinz Hilgers. "Das kann und darf nicht sein. Man sollte sich in einem solchen Fall als Schicksalsgemeinschaft sehen und keinen Separatismus betreiben."

Der Bericht über die katastrophalen Zustände der Einsatzstelle sei bereits an den Landrat gegangen, dieser werde ihn an den Innenminister weiterleiten. Darin enthalten sind deutliche Forderungen an Ineos, geeignete Sicherheitskonzepte und Strategien für den Schadensfall zu entwickeln. Derzeit werden im Rat Fragen gesammelt, die Ende April an die Verantwortlichen des Werks und die Bezirksregierung zur Klärung gestellt werden sollen. Das Thema wird den Stadtrat auch in der nächsten Sitzung beschäftigen.

Patrick Giefers, Ineos-Geschäftsführer, zeigte sich gestern verwundert. "Ich kann diese Vorwürfe nicht nachvollziehen. Die Einsatzzentrale ist komplett mit moderner Technik ausgestattet. Von dort war auch die Hotline für die Bürger geschaltet. Auch Internet-Zugänge waren vorhanden", sagt der Geschäftsführer. Der Einsatz sei selbstverständlich nach dem Gefahrenabwehrplan von der Werksfeuerwehr aus geleitet worden. Es habe einen ständigen Kontakt und Informationsaustausch gegeben. Er kündigte an, mit der Stadt Dormagen das Gespräch zu suchen, um Missverständnisse auszuräumen.