In Neuss wird immer mehr Geld verzockt

Über 300 Spielautomaten gibt es in Neuss. Im vergangenen Jahr wurden etwa 8,4 Millionen Euro verspielt.

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Neuss. Blinkende Spielautomaten mit grellen Farben in dunklen Räumen — in solchen Spielhallen hat die 49-Jährige aus dem Rhein-Kreis Neuss, die anonym bleiben möchte, oft Zuflucht gesucht. „Vor allem die Melodie, wenn man gewonnen hat, macht den Reiz aus“, erzählt sie. Doch die Gewinnmelodien verstummten. Sie verspielte viel Geld, erst ihr eigenes und dann sogar welches, das ihr gar nicht gehörte. Ihren Lebenspartner hatte sie bestohlen.

Solche Dramen sind in Neuss sehr viel wahrscheinlicher geworden — denn um immer mehr Geld wird in der Stadt gezockt. Laut Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW, die seit 1998 Daten sammelt, wurde allein in den Neusser Spielhallen im letzten Jahr über 8,4 Millionen Euro verspielt. Damit hat der sogenannte Kasseninhalt, das Geld, das am Ende des Tages im Automaten bleibt, einen neuen Höchststand erreicht. 2004 lag er noch bei 2,4 Millionen Euro und hat sich in zehn Jahren mehr als verdreifacht. 2010 waren es 4,6 Millionen Euro. Bei der letzten Erhebung im Jahr 2012 landeten 6,5 Millionen Euro in den Kassen der Spielhallen. Der Trend setzt sich fort.

Der erhöhte Umsatz wird durch immer mehr Maschinen erreicht. Gab es 2004 nur 137 Geldspielautomaten, sind es laut Thomas Marten vom Ordnungsamt aktuell über 300. Sie befinden sich in 27 Spielhallen an zwölf Standorten, die meisten in der Innenstadt und an der Hammer Landstraße. Die 8,4 Millionen Euro sind allerdings nur ein Teil des Geldes, das im Glücksspiel umgesetzt wird. In einer wachsenden Zahl von Wettbüros kann Geld auf Fußballspiele gesetzt werden, in Imbissen und Kneipen stehen auch Geldspielautomaten.

Davon profitiert auch die Stadt. Zwölf Prozent des Einspielergebnisses je Apparat gehen laut Vergnügungssteuersatzung an die Stadt. 2013 hat sie über die Vergnügungssteuer 1,8 Millionen Euro eingenommen, dazu gehören auch die Spielautomaten.

„Ein beträchtlicher Teil des Geldes kommt von Menschen, die spielsüchtig sind“, sagt Ilona Füchtenschnieder von der Landeskoordinierungsstelle. Glücksspielsucht ist eine anerkannte Krankheit, bei der das Verlangen zu spielen nicht kontrolliert werden kann. Dabei bestimmt sie den Alltag der Süchtigen, die Familie, Berufsleben und soziale Kontakt vernachlässigen.

„Ich habe gespielt, um abzuschalten und um Probleme zu vergessen“ erzählt die 49-jährigen, die als Kurierfahrerin arbeitet. Das tat sie lange unentdeckt, doch als sie richtig Stress im Beruf hatte, verspielte sie all ihr Geld und dann das ihres Partners — es war für ein neues Auto gedacht. Voller Scham beichtete sie dies und fand Hilfe bei der Fachstelle Glücksspielsucht der Caritas, seit Dezember ist sie „clean“.

Mehr als 250 Menschen haben sich im vergangenen an die Fachstelle gewandt. Die überwiegende Mehrheit spielt an Automaten. „Es ist eine Sucht, die ganz schnell Existenzen gefährden kann“, sagt Leiterin Verena Verhoeven. Die Mehrzahl sind junge Männer. Sorgen bereitet ihr, dass immer mehr Jugendliche und Frauen der Spielsucht verfallen. Der Jugendschutz bei Spielautomaten in der Gastronomie würde nicht kontrolliert, und um Frauen wirbt die Industrie gezielt.