Kaarst: Neue Wohn-Gemeinschaft

Modell: Sieben junge Menschen sind am Mittwoch zusammengezogen. Ihr Wunsch: Leben mit Behinderung, aber nicht im Heim.

Kaarst. Die DVDs stehen fein säuberlich im Regal. In der Vitrine stehen Modellautos nebeneinander in Reih und Glied. Die Matratze liegt auf dem Boden. Das Bett fehlt noch. Stefan Jung ist gerade aus dem Elternhaus aus- und an der Münchener Straße eingezogen. An sich nichts ungewöhnliches: Doch der 24-Jährige wohnt nicht allein, sondern er lebt mit sechs weiteren Menschen mit geistiger Behinderung zusammen unter einem Dach - jeder in seinem eigenen rund 15 Quadratmeter großen Zimmer.

"Es ist kein Wohnheim, sondern eine Wohngemeinschaft. Die Mieter leben auf den 250Quadratmetern selbstbestimmt und sind unsere Kunden. Und das ist einmalig in der Region. Es ist so etwas wie ein Modellprojekt und wir sind Dienstleister", betont Wilfried Gaul, Geschäftsführer der St. Augustinus Behindertenhilfe, die das Betreuungspersonal für das Wohnprojekt stellt.

Die jungen Menschen im Alter von 19 bis 38 Jahren kommen aus Kaarst, Neuss, Meerbusch und Willich. Und sie kennen sich untereinander, zum Teil schon viele Jahre aus der gemeinsamen Schulzeit oder durch Begegnungen im integrativen Kunstcafé, in dem Stefan Jung arbeitet. "Ihr Interesse für die Kunst hat sie zusammengebracht. Auch das Tanzen in einer Tanzschule in Dormagen oder das Tennisspiel bei Grün-Weiß verbindet sie", erläutert Gaul.

Das Haus an der Münchener Straße ist mit der Unterstützung der Aktion Mensch von der Behindertenhilfe gekauft und umgebaut worden. Das Mobiliar der Gemeinschaftsräume und die drei Küchen auf drei Geschossen stellt die Augustinus Behindertenhilfe. Die sieben Mieter zahlen dafür eine Umlage. "Jeder Mieter erhält eine auf ihn abgestimmte Betreuung", erläutert Barbara Lux-Küppers vom Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsangebot (KoKoBe) im Rhein-Kreis vom Landschaftsverband Rheinland, der die Initiative ausdrücklich unterstützt.

Denn seit dem 1. Januar 2008 gibt es für Menschen mit Behinderung einen gesetzlichen Anspruch, die Hilfegestaltung im Rahmen eines persönlichen Budgets selbst in die Hand zu nehmen. "Die Idee dahinter ist, die Selbstständigkeit zu fördern. Das ist auch das Ziel in der Wohngemeinschaft, dass die Mieter irgendwann ihr Leben weitgehend selbst gestalten", erklärt Karl-Heinrich Bertelmann vom Bereich Ambulante Dienste der St. Augustinus Behindertenhilfe.

Am ersten Tag ist die Freude unter den Bewohnern groß. In manchen Zimmern stapeln sich noch die Einzugskartons. "Ich hab mir ein schönes Zimmer ausgesucht", sagt Alexander Krämer.

Stefan Jung will am Einzugstag noch für Partymusik sorgen: "Dann spiele ich Linkin Park", kündigt er an - das freut nicht unbedingt seine Mitbewohner. Doch auch das gehört dazu, unterschiedliche Interessen aufeinander abzustimmen und Gemeinschaft zu leben.