Frau Werhahn, am 19. April 1967 starb Ihr Vater Konrad Adenauer. Zum feierlichen Begräbnis kamen Trauergäste aus aller Welt, darunter der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson. Wie haben Sie diese Tage in Erinnerung?
Interview Libet Werhahn-Adenauer: „Mein Vater war keine rheinische Frohnatur“
Libet Werhahn, Tochter von Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer, ist kritisch gegenüber Menschen und verliebt in ihren Garten. Das kommt vom Vater, meint sie.
Werhahn: Die Todesstunde meines Vaters habe ich persönlich nicht miterlebt, ich war gerade mal wieder zu Hause in Neuss. In den letzten Tagen und Nächten, die wir Kinder abwechselnd bei ihm im Haus in Rhöndorf verbracht haben, gab es gute Stunden des Abschiednehmens. Mein Vater war ein gläubiger Mensch, er hat als solcher gelebt und ist als solcher gestorben. Die Beerdigung war ein großes Ereignis, und die Trauer wurde zunächst überdeckt durch Äußerlichkeiten, an die gedacht werden musste. Im Kölner Dom saß dann rechts die Familie, links saßen die zahlreichen Staatsmänner und Trauergäste.
Kardinal Frings zelebrierte die Totenmesse. Ihrem Vater wurde ein nicht immer leichtes Verhältnis zu seinem Oberhirten nachgesagt. . .
Werhahn: Kardinal Frings war ein Freund der Familie. Das Zusammenspiel mit meinem Vater war geprägt von rheinisch-herzlicher Gegnerschaft ebenso wie von gegenseitigem Respekt.
Viele Persönlichkeiten von Rang haben Sie während der zahlreichen Reisen, auf denen Sie Ihren Vater begleitet haben, kennen gelernt. War die Tochter dabei auch eine Ratgeberin für den Bundeskanzler?
Werhahn: Nicht bei politischen Fragen. Aber nach Eindrücken hat er mich oft bei einem Glas Pfefferminztee gefragt, was ich von dem ein oder anderen Mächtigen dieser Welt halte. Und manchmal hat er auch durch mich einen guten Draht zu ihnen bekommen. Wir waren zum Beispiel einmal im Weißen Haus bei John F. Kennedy. Ich war schwanger mit meinem jüngsten Sohn, und Jackie Kennedy hatte gerade ein Kind bekommen. So entstand sofort eine lockere Atmosphäre zum amerikanischen Präsidenten.
Welches Treffen im Ausland hat Sie am meisten beeindruckt?
Werhahn: Mit Charles de Gaulle im Elysee-Palast. Ich hatte de Gaulle als Tischherrn und war entsprechend aufgeregt. In dem Raum, in dem wir saßen, hing ein Gemälde vom Düsseldorfer Schloss Benrath, und er hat mich gefragt, ob ich wisse, was auf dem Bild zu sehen sei – alles auf Französisch. Und ich, 29 Jahre jung, habe einerseits unheimlich gelitten wegen meines Schulfranzösischs und es auf der anderen Seite sehr genossen. Am Schluss sagte General de Gaulle dann auf Deutsch: „Auf Wiedersehen, Frau Adenauer. Es war eine sehr anregende Unterhaltung mit Ihnen.“ Seine Sprachkenntnisse hätte er mir natürlich auch früher verraten können. Ich erinnere mich aber auch an aufregende Begegnungen mit Eisenhower – und mit Nixon auf einer Ranch in Texas oder mit Soraya in Teheran.
Inwieweit haben Erlebnisse wie diese Ihr Leben bestimmt?
Werhahn: Ich habe das alles in sehr guter Erinnerung – es ist ein Schatz. Aber es hat mich nie von anderen Teilen meines Lebens, etwa vom normalen Familienleben, getrennt.
Wie war Konrad Adenauer als Vater?
Werhahn: Er war ein strenger Vater und ein sehr ernsthafter Mensch. Natürlich konnte man mit ihm lachen, aber er war keine rheinische Frohnatur. Als ich mit 22 Jahren heiraten wollte, hat er mich und meinen zukünftigen Ehemann sehr unterstützt und uns einige Male in Neuss besucht.
Was haben Sie an Ihrem Vater besonders bewundert?
Werhahn: Er konnnte die Menschen bewegen und Werte vermitteln. Das hat mich geprägt. Ich halte viel von einer Wertediskussion. Wir müssen uns wieder mehr auf unsere Menschlichkeit besinnen.
Sie waren vor 50 Jahren dabei, als mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge ein Grundstein für die Europäische Union gelegt wurde. Warum, glauben Sie, steckt die EU heute in der Krise?
Werhahn: Es sind seitdem ja viele Dinge bewegt worden. Eine solche Freiheit, die jetzt in Europa herrscht, hat es vorher nie gegeben. Aber an einem geeinten Europa müssen wir alle immer arbeiten. Diese Verantwortung für Europa, vor allem in Bezug auf die Jugend, habe ich von meinem Vater übernommen. Ich sehe es als sein Vermächtnis.
Haben Sie sich mit Ihrem Vater auch mal über Politik gestritten?
Werhahn: Über Politik weniger. Aber über Literatur haben wir oft gestritten. Ich hatte einen Luise-Rinser-Tick in den 1950er Jahren und wollte ihm Texte von ihr vorlesen. Die haben ihn aber nicht interessiert. Wenn er selbst Zeit zum Lesen hatte, bevorzugte er unter anderem Krimis. Er hatte eine schöne Krimi-Bibliothek.
Der Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte auch Feinde. Wie sind Sie als Tochter damit umgegangen?
Werhahn: Ich kannte Feindseligkeiten meinem Vater gegenüber aus der Nazi-Zeit. Da hatte sich eine gewisse Festigkeit gebildet: Die Fähigkeit, die Feindseligkeiten zu sehen, sich aber nicht von ihnen beeinträchtigen zu lassen.
Wurde Ihnen oft gesagt „ganz der Vater“?
Werhahn: Das hat man nicht nur zu mir gesagt, sondern auch zu meiner Tochter – mit sechs Wochen im Kinderwagen. Sicher, diese „Chin-Chin-Augen“ habe ich bestimmt von ihm. Vom Verhalten her habe ich, so sagt man, viel von meiner Mutter geerbt. Das nehme ich gerne an, denn meine Mutter war wunderbar. Vom Vater kommt, dass ich sehr kritisch Menschen gegenüber bin, und die Liebe zum Garten. Der Garten war ein Lebenselixier für ihn. Er hat selbst kleine Mauern gezogen und schwere Gießkannen geschleppt. Auch wir Kinder wurden in diese Arbeit mit einbezogen. Ich musste zum Beispiel unser Milchschaf „Nelke“ melken und versorgen. Es war ein sehr bockiges Tier.
Was halten Sie von der ersten weiblichen Nachfolgerin Ihres Vaters im Amt des Bundeskanzlers?
Werhahn: Sehr viel. Vor allem, weil Frau Merkel keine Seilschaften pflegt. Sie ist unvoreingenommen und hat eine natürliche Klugheit. Ich sehe auch kein Machtstreben bei ihr. Aber sie hat keinen leichten Stand bei ihren männlichen Rivalen.