Nachbarschaft in Neuss-Allerheiligen Eine Weihnachtsstraße hält zusammen

Neuss · In Neuss-Allerheiligen locken aufwendig geschmückte Häuser einige Besucher an. Hinter den blinkenden Lichtern, Weihnachtsmännern und Eisbären steht die Geschichte eines außergewöhnlichen Nachbarschaftszusammenhalts.

Nicht nur in der Weihnachtszeit: Die Nachbarinnen vom „Stüttgesfeld“ halten das ganze Jahr zusammen. Mit einem heißen Getränk in der Hand haben sie sich getroffen, um von ihrem Projekt zu erzählen.

Foto: Melanie Zanin(MZ)

Unter einem Baldachin aus Lichterketten liegt in Neuss-Allerheiligen eine wahrhaft weihnachtliche Straße: In den Vorgärten glitzern Geschenke, der Weihnachtsmann lehnt sich fröhlich aus einer Lokomotive, an den Hauswänden leuchten Zuckerstangen und Schneeflocken aus Licht tanzen in der Dunkelheit: Im Dezember verwandelt sich das „Stüttgesfeld“ zu einer funkelnden Winterwunderwelt. Schon seit einigen Jahren schmückt dort ein Großteil der Nachbarschaft die Häuser so aufwendig, dass ihre Adresse in der Umgebung schon als „Weihnachtsstraße“ oder auch als „Märchenstraße“ bekannt ist. „Die Namen haben wir von Spaziergängern bekommen“, erzählt Tanja Remigio-Pereira. Es seien nämlich einige Passanten, die von den Lichtern angelockt werden und auch Autos würden anhalten, um einen Blick auf die Glitzerstraße zu werfen. „Manche Leute bedanken sich sogar bei uns, weil es so schön für die Kinder sei“, sagt Agnes Chlebisz. „Darüber freuen wir uns sehr, es ist aber nicht so, dass wir für die anderen schmücken, sondern hauptsächlich für uns selbst.“

Tanja Remigio-Pereiera und Agnes Chlebisz sind zwei Bewohnerinnen der Weihnachtsstraße: An einem Dezemberabend stehen sie mit anderen Nachbarinnen und einer dampfenden Tasse in der Hand zusammen, um von dem besonderen Projekt zu erzählen. Es wird viel gelacht, sich gegenseitig geneckt und die ein oder andere Träne aus den Augenwinkeln gewischt. Hinter der Weihnachtsstraße, so wird schnell klar, stehen nicht nur viele blinkende Lampen und Figuren, sondern die Geschichte von einer außergewöhnlichen Gemeinschaft, von Nachbarn, die zu Freunden geworden sind.

Den Anfang haben vor gut 13 Jahren Nicki und Jenny gemacht. Erst seien es nur Bäume und Sträucher gewesen, die sie mit Lichterketten versehen haben, dann seien immer mehr Objekte dazugekommen. Bald haben sich auch andere Familien aus der Nachbarschaft beteiligt, weitere sind dazu gezogen und ließen sich schnell anstecken. Und genauso wie die Weihnachtsdekoration immer weiter gewachsen ist, wuchsen auch die Verbindungen untereinander.

Das Schmücken beginnt in den Tagen nach Totensonntag: Einen gemeinsamen Startpunkt gibt es nicht. „Man lässt sich aber mitreißen, wenn man sieht, dass die anderen schon anfangen“, sagt Melly Pollmann. „Wir helfen uns aber auch gegenseitig.“ Da fällt besonders oft der Name Jenny. Sie ist diejenige, die keine Leiter scheut und schon so manche Kette in luftiger Höhe angebracht hat. Außerdem, so erzählen die anderen, sei sie die Kreative in der Gruppe, eine echte Allrounderin. Sie habe einiges selbst gemacht – dazu gehören etwa die Zuckerstangen, eine große Weihnachtsglocke oder der Stern, der die Straßenmitte markiert und von den anderen liebevoll „Patrick“ genannt wird. Jedes Jahr kommen Elemente hinzu, andere werden neu kombiniert und untereinander getauscht.

Getuscht und geteilt
wird das ganze Jahr

Das Tauschen und Teilen geht aber nicht nur zu Weihnachten so: Hat jemand kein Mehl zu Hause, kann er es sich bei den anderen leihen. Genauso bei Medikamenten. Auch aussortierte Kleidungsstücke tauschen die Familien untereinander. „Manchmal schreiben wir auch in der Whatsapp-Gruppe, wenn Essen übrig geblieben ist“, sagt Melly Pollmann. Dann heißt es: „Haben eure Kinder schon was gegessen? Ich habe noch Kartoffelsuppe übrig.“ Oder es werden ein paar Pfannkuchen mehr gemacht, weil man weiß, dass die Nachbarin sie auch gerne isst. „Es ist alles ein Geben und Nehmen“, sagen die Frauen immer wieder. „Danny kocht und backt häufig für uns.“ Gerade im Sommer würden die Nachbarinnen gerne zusammen draußen sitzen. Und Danny habe dann immer schon etwas vorbereitet. „Ich bewirte einfach gerne“, sagt die 45-jährige Daniela Lüttikhuis sichtlich gerührt, um gleich darauf zu betonen, dass die anderen dafür dann Snacks und Getränke mitbringen.

Die Freundinnen verabreden sich aber auch, um auswärts essen zu gehen oder zum Feiern. In diesem Jahr waren sie sogar zusammen im Urlaub. Als Nachbarin Nicki nämlich 50 geworden ist, wurde sie von den anderen mit einem Moselausflug überrascht. Aber nicht nur die schönen Momente, auch die schweren, werden miteinander geteilt. Dann, wenn es darum geht, einander Trost zu spenden: „Als mein Vater gestorben ist, kamen alle zu mir“, sagt Tanja Remigio-Pereira. „Sie haben mich in den Arm genommen und wir haben einfach nur zusammengesessen. Das ist eine meiner schönsten Erinnerungen.“

Das Geheimnis einer guten Nachbarschaft? „Es passt einfach zwischen uns“, sagen die Frauen immer wieder. Außerdem kennen sie die Stärken, aber auch die Macken der anderen. Ist jemand schlecht gelaunt, wissen die anderen, dass sie ihn nicht ansprechen sollen. Gemeinsam haben sie schon einiges auf die Beine gestellt: Zum zweiten Mal luden sie in diesem Jahr an Halloween zum Grusel-Walk auf ihre schaurig geschmückte Straße ein. „Der Andrang war riesig“, sagt Melly Pollmann. Noch besser gefalle ihr aber die Weihnachtszeit: „Es ist so gemütlich mit den Lichtern und wir haben länger etwas davon als an Halloween.“

Und als am ersten Advent zum ersten Mal das Licht der Weihnachtsstraße eingeschaltet wurde, habe es sogar noch Schnee gegeben. Ein magischer Moment. Silvester werden die ersten Lichterketten abgehangen – damit sich keine Rakete darin verfangen kann. Im Januar verschwinden die restlichen Lichter. „Das ist immer eine große Umstellung“, sagt Melly Pollmann. „Also genießen wir es, solange es da ist.“