Neuss: Der Arzt für die Armen

Dr. Dirk Stenmanns behandelt Menschen, die nicht in die Praxis kommen: Er geht zu den Wohnungslosen.

Neuss. Dr. Dirk Stenmanns holt das tragbare Ultraschallgerät aus dem schwarzen Arztkoffer, der neben der Küchenzeile steht. Er geht ins Nebenzimmer zur Liege, vorbei an einer Waschmaschine. Ein ungewöhnliches Behandlungszimmer - für einen ungewöhnlichen Arzt.

Alle zwei Wochen behandelt der Neusser Allgemeinmediziner mit Praxis in Neuss wohnungslose Menschen in den Räumen des Café Ausblick an der Breite Straße. "Etwa 20 Patienten kommen regelmäßig", sagt er. Diese Menschen würden ohne ihn wohl nicht behandelt: Sie suchen nur ungern eine Praxis auf. Einige schämen sich, sie haben zu wenig Geld, oder ihnen ist alles gleichgültig, auch die eigene Gesundheit, sagt Dirk Stenmanns.

Patient Hans Klammer* kommt wegen Erbrechen und Bauchschmerzen zu dem Arzt. Er berichtet: "Ich bin mittellos, habe keine Wohnung und kann mir die Praxisgebühr oder Medikamente nicht leisten." Seit vier Jahren war er nicht beim Arzt, auch nicht, als er krank war. Sein Portemonnaie wurde ihm gestohlen, er hat keinen Personalausweis mehr, keine Krankenkassen-Karte.

"Manchmal fühle ich mich, als sei ich tot", sagt der 47-Jährige. Er sagt, er leidet unter Angstzuständen. Dr.Stenmanns hört aufmerksam zu, nimmt sich Zeit. "Trinken Sie auch ab und zu?", fragt er. Klammer bejaht: "Manchmal bis zu drei Liter Wein am Tag."

Alkohol- oder Drogensucht sind Krankheiten, mit denen Stenmanns oft zu tun hat. Viele seiner Patienten haben psychische Probleme. Alle Altersstufen sind vertreten, Männer wie Frauen und "Wohnungslose auf der Durchreise", wie Stenmanns berichtet.

Seit 2007 sucht er die wohnungslosen Menschen dort auf, wo sie sich aufhalten: im wöchentlichen Wechsel in der Nähe der Suppenküche des Alexius-Krankenhauses und beim Café Ausblick an der Breite Straße. Für Menschen, die nicht zahlen können, haben Caritas und Stadt einen Notfall-Fonds für die Praxisgebühr eingerichtet.

Stenmanns selbst arbeitet dann unentgeltlich. "Mir ist 2007 aufgefallen, dass es nur die medizinische Versorgung in der Übernachtungsstelle für alleinstehende wohnungslose Männer gab", erinnert sich Stenmanns. "Und das nur alle drei Monate." Das sei zu wenig - er selbst bietet die Sprechstunden einmal pro Woche an.

"Gesundheit ist doch ein Menschenrecht", sagt der 47-Jährige, der schon ein ereignisreiches Leben hinter sich hat: Nach der Schule machte er die Ausbildung zum Kapitän, danach folgte das Medizinstudium. Er arbeitete als Arzt in Entwicklungsländern. Für ihn steht fest: "Wenn man ein Auge dafür hat, fällt einem auch hier auf, wo man helfen kann."

Für die Zukunft hofft er, dass sich ein Kollege findet, mit dem er das Angebot aufrechterhalten kann - wenn er einmal nicht im Einsatz sein sollte.

(*Name von der Redaktion geändert)