Neuss: Die Emanzipation scheitert an der Männerwelt

Das Rheinische Landestheater bringt Goethes Frühwerk Clavigo intelligent inszeniert auf die Bühne.

Neuss. Hier prallen Welten aufeinander, keine Träume. Vorstellungen vom richtigen Leben werden verhandelt, Tradition und Moderne stehen sich unversöhnlich gegenüber, und am Schluss gibt es zwei Tote. Das Spielzeitmotto "Träumen!" mag man zwar zur Not auch hineindeuteln, doch in diesem "Clavigo!" geht es um mehr. Regisseur Alexander Marusch hat am Rheinischen Landestheater Goethes frühes Drama mit Sinn fürs Detail wie fürs große Ganze intelligent ins Heute geholt und auf packende Weise sehr körperlich inszeniert.

Die Spielfassung stammt von Marusch und Udo Eidinger. Der Text ist effizient gestrichen, Modernismen sind geschickt eingefügt. Die Figur der Marie ist emanzipiert, sie ist nicht wie bei Goethe ein Opferlamm, das aus Liebeskummer vergeht. Buenco, vergeblich in Marie verliebt, und Guilbert, Mann von Maries Schwester Sophie, sind zu einer Figur zusammengezogen, einem tragischen Clown.

Schlichte weiße Wände vor einem dräuenden Wolkenhimmel, das Bühnenbild (Julia Rogge) visualisiert schon Gegensätze. Die Kostüme (ebenfalls Rogge) teilen das Personal in ein traditionelles und ein heutiges Lager. Nur Buenco liegt irgendwo dazwischen, eine Clownsnase verweist ihn ins Reich der Narren.

Sophie (Claudia Felix) und Beaumarchais (Stefan Schleue), die Geschwister Maries (Melanie Vollmer), stehen für die Tradition. Clavigo (Roman Konieczny), aufstrebender Autor, hat Marie schon vor Einsetzen der Handlung sitzen lassen. Sein Freund Carlos (André Felgenhauer) bestärkt ihn darin, erst einmal an seine Karriere zu denken. Doch Beaumarchais fordert Clavigo eine Ehrerklärung für die Schwester ab. Da wendet sich Clavigo Marie wieder zu, doch nur um sie auf Carlos’ Drängen wieder zu verlassen. Beaumarchais tötet daraufhin die Schwester - ein Ehrenmord. Und Buenco (Raik Singer), nicht wie bei Goethe Beaumarchais, erwürgt Clavigo, dies eher ein Mord aus Verzweiflung.

Roman Konieczny gibt den Clavigo als ein Fähnchen im Winde. Er zappelt über die Bühne, lässt sich mal von Beaumarchais, mal von Carlos zu Handlungen drängen, deren Folgen er nicht absieht. Dabei will diese Marie gar nicht mehr zu ihm zurück. In beeindruckend direktem Ton beklagt sie noch vor der Pause, dass sie ja überhaupt nicht gefragt wird.

Buenco ist die Seele der Inszenierung. Ihn zerreißt das Schicksal der Schwägerin, und wenn es am Ende Clownsnasen aus dem Bühnenhimmel regnet, dann ist das keine Absolution für seinen Mord an Clavigo. Vielmehr erklärt damit die Regie alle Figuren zu Narren, unfähig die Widersprüche des Lebens auszuhalten.

Viel Applaus am Schluss für das homogene Ensemble, Regisseur Marusch und sein Team.