Dragqueen zu Besuch in Neusser Schule „Ich bin eine Hetero-Frau im Körper eines schwulen Mannes“

Neuss · Am Donnerstag stattete die Dragqueen Veuve Noire der Gesamtschule Norf einen Besuch ab. Sie erzählte den Schülern von ihren Erfahrungen mit Homophobie und Diskriminierung und erläuterte, wieso eine tolerante Gesellschaft wichtig ist.

Dragqueen Veuve Noire aus Hamburg bei ihrem Vortrag vor Schülerinnen und Schülern an der Gesamtschule Norf.

Foto: Andreas Woitschützke

Veuve Noire, auf deutsch „schwarze Witwe“, tritt mit einem komplett schwarzen Outfit, hohen Absätzen, auffälligem Make-up, Tattoos und großer Schlagfertigkeit auf. Die Dragqueen, die mit bürgerlichem Namen Henrik Schmidt heißt, sprach im Rahmen eines Projekts in der Gesamtschule Norf über Toleranz, Vielfalt und Homosexualität. „Veuve spricht man ‚Wöff‘ aus, wie ein schwuler bellender Hund“, sagte sie zu Beginn. Damit wird den Schülern schnell klar, dass sie kein regulärer Vortrag erwartet. Denn die Dragqueen ist direkt und erzählt offen aus ihrem Leben.

Deniz Ceri und Michelle Kiefer, zwei Lehrerinnen der Gesamtschule Norf, haben das Aufeinandertreffen organisiert. Die rund teilnehmenden 70 Schüler sind zwischen 14 und 18 Jahre alt. Mit ihrer Tour „Olivia macht Schule“ machte Veuve das erste Mal Halt in Norf. Gespannt lauschten die Schüler und Schülerinnen den Worten der Dragqueen, die auch von herausfordernden Zeiten berichtete.

Seit mehr als zehn Jahren ist Veuve eine Dragqueen, drag steht für „dressed as a girl“. In diesen Jahren hat sie viel Zuspruch erlebt, aber auch viel Hass. Obwohl die LGBTQIA+ Community in den Sozialen Medien vertreten ist, findet Veuve, dass es immer noch zu viel Diskriminierung gebe. Queere Menschen erleben heutzutage immer noch verbale und physische Angriffe. Gleichzeitig findet Veuve gut, dass die Gesellschaft mehr Akzeptanz zeige. Es habe sich bereits viel getan, wie mit dem 2017 eingeführten Gesetz, das die Ehe für alle erlaubt. Dennoch glaubt sie, dass „wir noch nicht da sind, wo wir hätten sein sollen.“

Veuve ist in Wismar groß geworden, einer Stadt in Mecklenburg-Vorpommern. Bereits zu Schulzeiten wurde sie beleidigt und verprügelt, weil sie anders war. Aus Angst vor Gewalt und Ausgrenzung habe sie ihren Freunden erzählt, sie sei bisexuell, dabei ist sie homosexuell. Einmal habe sie sich dann ihrer besten Freundin anvertraut und sich geoutet. Doch diese habe dem ganzen Freundeskreis erzählt, dass Veuve auf Männer steht. „Von heute auf morgen war ich ganz allein“, erinnert sich Veuve. Am nächsten Tag erreichten sie zahlreiche SMS: Viele brachen den Kontakt ab, einige schickten ihr Morddrohungen.

In dieser Zeit hatte Veuve mit Depressionen und Suizidgedanken zu kämpfen. „Bevor ich mich umbringen konnte, klingelte das Telefon. Eine Freundin hat mich angerufen und fragte mich, was gerade bei mir los sei. Damit hat sie mir das Leben gerettet“, berichtet Veuve. Sie hatte einen emotionalen Ausbruch und habe der Freundin alles geschildert. Veuve sei danach bei ihr untergetaucht, habe in der Zeit lange über ihre Identität nachgedacht. Irgendwann sei ihr klar geworden, dass sie aus Wismar rausmusste. „Ich musste in eine Stadt, die mich so akzeptiert, wie ich bin“, sagte Veuve. Ihre Entscheidung fiel auf Hamburg.

An ihrem ersten Tag in Hamburg ging sie auf die Reeperbahn und lief in die Olivia Jones Bar hinein. Das war der 16. Mai 2015, Veuve nennt dieses Datum „den Tag, an dem ich ein zweites Mal geboren wurde“. Mitarbeiter der Bar bemerkten Veuve und fragten sie, ob sie für Olivia Jones arbeiten möchte. Für das Casting hat sie sich zum ersten Mal in eine Dragqueen verwandelt, „das erste Mal habe ich Silikonbrüste getragen“, erzählt Veuve und lacht. Seitdem ist Veuve ein Teil der Olivia Jones Familie.

Nach dem Vortrag stellten viele Schüler noch Fragen. Einige wollten wissen, wie sie herausgefunden hat, dass sie homosexuell ist. „Wie hast du herausgefunden, dass du heterosexuell bist?“, konterte sie. In humorvoller Weise erklärte sie den Schülern, dass Homosexualität etwas vollkommen Natürliches ist, wofür sie sich nicht entschieden hat. Homosexualität existierte schon vor langer Zeit bei den Ägyptern und auch in der Tierwelt, betonte sie. Ebenfalls kam die Frage nach ihren Pronomen und als was sie sich identifiziere auf. „Sie, Er – nennt mich, wie ihr wollt. Ich bin eine heterosexuelle Frau im Körper eines schwulen Mannes“, antwortete sie.

Am Ende appellierte sie noch an ihr junges Publikum: „Ihr seid alle schön, wie ihr seid. Keiner von euch sollte diskriminiert werden, weil ihr anders seid.“

(han)